Nach militärischen Rückschlägen Moskau treibt Scheinreferenden über Anschluss ukrainischer Gebiete voran

Kiew · Nach militärischen Rückschlägen sucht der Kreml offenbar einen anderen Weg, um sich ukrainische Gebiete einzuverleiben. Dabei hat er diese gar nicht alle unter Kontrolle.

Wladimir Putin - Präsident von Russland, eitel, autoritär, entschlossen
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Foto: dpa/Kremlin Pool

Separatistenführer und von Moskau eingesetzte Statthalter haben am Dienstag hastige Referenden über den Anschluss von vier ukrainischen Gebieten an Russland angekündigt. Bereits ab Freitag solle in den Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja darüber abgestimmt werden, ob diese Territorien an Russland angegliedert werden. Die Abstimmungen könnten den Weg für eine Eskalation des Krieges durch Moskau bereiten, nachdem ukrainische Truppen zuletzt größere Gebiete zurückerobert hatten.

Russland hat die selbsternannten „Volksrepubliken“ in den Donbass-Regionen Donezk und Luhansk kurz vor der Invasion in die Ukraine im Februar als unabhängig anerkannt und im umkämpften Cherson und Saporischschja prorussische Verwaltungen eingesetzt. Die Referenden dürften das von Moskau gewünschte Ergebnis bringen, jedoch nicht von westlichen Regierungen anerkannt werden.

Der Donezker Separatistenchef Denis Puschilin erklärte: „Die seit langem leidende Bevölkerung des Donbass hat das Recht verdient, Teil des großartigen Landes zu sein, das sie immer als ihr Mutterland betrachtet hat.“ Die Abstimmung werde dabei helfen, historische Gerechtigkeit wiederherzustellen.

In der teilweise von Russland besetzten Region Saporischschja versprach der prorussische Aktivist Wladimir Rogow: „Je schneller wir Teil Russlands werden, desto früher gibt es Frieden.“

Zuvor hatte der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew erklärt, die Eingliederung von Luhansk und Donezk in der Ostukraine werde die neu gezogenen Grenzen „unumkehrbar“ machen und Moskau in die Lage versetzen, sie zu verteidigen. „Ein Vordringen auf russisches Gebiet ist ein Verbrechen, das alle Mittel der Selbstverteidigung rechtfertigt“, sagte er. Die russische Verfassung solle zudem so geändert werden, dass auch ein künftiger Präsident diese Gebiete nicht zurückgeben könne.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte die geplanten Referenden eine Täuschung. „Die Ukraine hat jedes Recht, ihre Territorien zu befreien und wird sie weiter befreien, was immer Russland sagt“, twitterte Kuleba.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, es handle sich ganz klar um Scheinreferenden, die nicht vom Völkerrecht gedeckt seien und nicht akzeptiert werden könnten.

Der französische Präsident Emmanuel Macron nannte die angekündigten Referenden zynisch und sagte, sie hätten keine rechtlichen Konsequenzen. Russland habe erst einem Land den Krieg erklärt und wolle dort jetzt eine Volksabstimmung organisieren. „Wenn es nicht so tragisch wäre, könnte es komisch sein“, sagte Macron.

Auch die US-Regierung wies die Abstimmungspläne zurück. „Wir werden dieses Territorium nie als etwas anderes denn als Teil der Ukraine anerkennen“, sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. Das Vorgehen Russlands zeuge nicht von Selbstvertrauen und Stärke sondern von seinen militärischen Rückschlägen.

Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics forderte zusätzliche Sanktionen gegen Russland und weitere Waffen für die Ukraine. „Wir müssen Nein zu russischer Erpressung sagen“, forderte er.

Der ukrainische Analyst Wolodymyr Fessenko vom unabhängigen Pentazentrum in Kiew sagte, die russische Führung hoffe, die mit den Referenden verbundene Möglichkeit einer militärischen Eskalation werde den Druck auf westliche Staaten und die Ukraine erhöhen, mit Moskau zu verhandeln.

Westliche Staaten haben nach dem Erfolg der ukrainischen Gegenoffensive östlich von Charkiw bereits zusätzliche Waffenlieferungen angekündigt. Slowenien versprach 28 Panzer, Deutschland vier weitere Panzerhaubitzen. Die neue britische Premierministerin Liz Truss dürfte demnächst ankündigen, dass ihr Land der Ukraine im kommenden Jahr genauso viel oder noch mehr Militärhilfe wie in diesem Jahr zur Verfügung stellen wird. Dieses Jahr waren das 2,3 Milliarden Pfund (gut 2,6 Milliarden Euro).

(jmb/dpa)
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