Nach erneutem Angriff auf Zivilopfer Selenskyj will Russland als Terrorstaat einstufen lassen

Kiew/Moskau · Ukrainische Städte trauern nach russischen Raketentreffern um tote Männer, Frauen und Kinder. In Deutschland wollen viele Menschen, dass die Ukraine unterstützt wird. Doch bei der Frage nach Militärhilfe gehen die Meinungen auseinander.

Wolodymyr Selenskyj: Präsident der Ukraine - vom Komiker zum Staatsmann
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Das ist Wolodymyr Selenskyj 

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Foto: dpa/Eric Lalmand

Nach dem Tod von mehr als 20 Zivilisten durch russische Raketen in der Stadt Winnyzja hat der ukrainische Präsident Wolodymr Selenskyj Moskau Terrorismus vorgeworfen. „Kein anderer Staat in der Welt stellt eine solche terroristische Gefahr dar wie Russland“, sagte Selenskyj. Die Suche nach Vermissten in den Trümmern gehe weiter, sagte der Präsident am Donnerstagabend in seiner Videoansprache in Kiew. Es gebe viele Schwerverletzte. Bis Freitag wurden 23 Todesopfer gezählt, unter ihnen ein vierjähriges Mädchen und zwei Jungen im Alter von sieben und acht Jahren.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Beschuss der Stadt in der Westukraine, sprach aber von einem Angriff auf ein militärisches Objekt. Im „Haus der Offiziere“ im Zentrum von Winnyzja habe es am Donnerstag eine Besprechung ukrainischer Militärs und ausländischer Waffenlieferanten gegeben, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow in Moskau. Alle Teilnehmer der Sitzung seien getötet worden. Dieser Teil seiner Angaben war nicht überprüfbar.

In Deutschland bleibt einer Umfrage zufolge die Zustimmung zu einer Unterstützung der Ukraine hoch, auch wenn dies deutlich höhere Energiepreise bedeutet. In Moskau besetzte Präsident Wladimir Putin am Freitag wichtige Positionen neu: Industrieminister Denis Manturow wurde zum Vizeregierungschef mit Zuständigkeit für die Rüstung ernannt; der bislang für Rüstung zuständige Regierungsvize Juri Borissow wurde Generaldirektor der Raumfahrtbehörde Roskosmos.

Mehr russische Raketenangriffe auf Städte

Russische Truppen haben in den vergangenen Tagen mehrere ukrainische Städte weit hinter der Front aus der Ferne beschossen. Auch wenn Moskau darauf beharrt, nur militärische Ziele anzugreifen, hat es doch Dutzende zivile Opfer gegeben. Oft verfehlen Geschosse alter sowjetischer Bauart ihre Ziele. In der Stadt Tschassiw Jar im Gebiet Donezk kamen am vergangenen Wochenende bei einem Raketenangriff auf ein Wohnhaus mindestens 48 Menschen ums Leben.

In Winnyzja schlugen drei Raketen in einem Bürozentrum ein. 18 Personen galten am Freitag noch als vermisst. Bilder und Videos, die über die sozialen Netzwerke verbreitet wurden, dokumentierten eine Vielzahl von zivilen Opfern. Kein anderes Land auf der Welt nehme sich heraus, jeden Tag mit Raketen und Artillerie „friedliche Städte und alltägliches menschliches Lebens“ zu vernichten, sagte Staatschef Selenskyj. Russland sollte offiziell als Terrorstaat eingestuft werden, forderte er.

Zuspruch für Unterstützung der Ukraine bleibt hoch

Eine Mehrheit der wahlberechtigten Bundesbürger will die Ukraine weiter unterstützen, auch wenn das mit erhöhten Energiepreisen verbunden ist. Im ZDF-„Politbarometer“, das am Freitag veröffentlicht wurde, sprachen sich 70 Prozent der Befragten dafür aus. 22 Prozent lehnten eine weitere Unterstützung des von Russland angegriffenen Landes ab - mit dem Ziel, dass die Energiepreise sinken.

Allerdings sank der Anteil der Befragten, die eine Verstärkung der militärischen Hilfe befürworten. Es waren noch 35 Prozent nach 44 Prozent Anfang Juli. 32 Prozent plädierten für ein unverändertes militärisches Engagement, und 24 Prozent waren für eine Verringerung der Militärhilfe (Anfang Juli: 18 Prozent). Die Bundesregierung könne bei ihrer Verurteilung des russischen Angriffskrieges und der Unterstützung der Ukraine bei der Selbstverteidigung auf „breiten Rückhalt“ in der Bevölkerung setzen, folgerte ein Sprecher.

Die Jobcenter in Deutschland versorgen und betreuen nach Aussage von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil derzeit 260.000 Geflüchtete, die hierzulande arbeiten könnten und Anspruch auf Grundsicherung haben. „Es gilt jetzt, diese in Arbeit zu vermitteln“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag). Außerdem seien bisher mindestens 100.000 Menschen aus der Ukraine gemeldet, die keiner Arbeit nachgehen könnten, etwa Kinder und ältere hilfsbedürftige Menschen. Von den rund 800.000 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten seien 30 Prozent Kinder unter 14 Jahren.

Brite im Osten der Ukraine umgekommen

In Kriegsgefangenschaft der prorussischen Separatisten in der Ostukraine ist ein Brite gestorben. Das sagte eine Vertreterin der Separatisten, Darja Morosowa, und verwies auf Krankheiten des Mannes. Er war nach Medienberichten 45 Jahre alt, die Todesumstände ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Ein britischer Regierungssprecher sagte: „Das sind eindeutig alarmierende Berichte, und unsere Gedanken sind natürlich bei seiner Familie und seinen Freunden.“

Der Mann sei mit einem Hilfstransport in der umkämpften Region Saporischschja im Südosten der Ukraine unterwegs gewesen, wo er von moskautreuen Truppen festgenommen wurde. Die Separatisten werfen ihm vor, ein Söldner gewesen zu sein. Sie haben mehrere Ausländer in Dienst der ukrainischen Truppen zum Tode verurteilt. Der Verstorbene zählte aber nicht zu diesen Verurteilten.

600 Millionen Euro für kriegsgeplagte Moldau

Bei einer Geberkonferenz für die Republik Moldau sind Finanzhilfen von mindestens 600 Millionen Euro zusammengekommen. Das sagte Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu am Freitag in Bukarest bei einer Pressekonferenz mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Noch sei die Bestandsaufnahme der zugesagten Hilfen aber nicht abgeschlossen, schränkte Aurescu ein.

Die kleine Ex-Sowjetrepublik Moldau liegt zwischen der Ukraine und Rumänien und hat seit Juni den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Der Krieg in der Ukraine habe in Moldau eine Flüchtlingskrise und wirtschaftliche Probleme ausgelöst, sagte Aurescu. Eine erste Geberkonferenz für Moldau hatte es im April in Berlin gegeben.

(jmb/dpa)
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