Russische Invasion Ukraine in Alarmbereitschaft vor Moskauer Siegesfeiertag - Die Nacht im Überblick

Kiew · Die Ukraine wappnet sich für einen möglichen russischen Bombenhagel. Und mit einer kurzfristigen Einladung setzt Präsident Selenskyj Kanzler Scholz unter Druck. Ein Überblick über das Geschehen in der Nacht.

Ein Mann lugt nach russischem Beschuss in Charkiw aus einer Bunkertür.

Ein Mann lugt nach russischem Beschuss in Charkiw aus einer Bunkertür.

Foto: dpa/Daniel Carde

In der Ukraine wächst die Angst vor verstärkten russischen Luftangriffen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Moskauer Feiertag am 9. Mai. Präsident Wolodymyr Selenskyj rief zu Vorsicht und Disziplin auf. „Ich bitte alle unsere Bürger - und gerade in diesen Tagen -, den Luftalarm nicht zu ignorieren“, sagte der Staatschef am Freitag in seiner abendlichen Videoansprache. „Bitte, das ist Ihr Leben, das Leben Ihrer Kinder.“

Die Ukrainerinnen und Ukrainer sollten am Wochenende strikt den Anordnungen der Behörden folgen und sich an örtliche Ausgangssperren halten, mahnte Selenskyj. Wegen der Minengefahr sei das Betreten von Wäldern verboten, die vom russischen Militär besetzt waren. Das ukrainische Innenministerium kündigte an, mit 5000 Mann zu patrouillieren, um mögliche Provokationen zu unterbinden.

Im südukrainischen Gebiet Odessa müssen die Menschen von Sonntagabend um 22.00 Uhr Ortszeit (21.00 Uhr MESZ) bis Dienstagmorgen um 5.00 Uhr Ortszeit (4.00 Uhr MESZ) zuhause bleiben. In der Hauptstadt Kiew werde es keine Ausgangssperre geben, sagte Bürgermeister Vitali Klitschko. Aber auch er riet den Menschen, zuhause zu bleiben. „In den kommenden Tagen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit von Raketenbeschuss in allen Regionen der Ukraine“, sagte er.

Derweil unternimmt die russische Besatzung im Süden der Ukraine Schritte zu einer Abspaltung des Gebietes Cherson. Einwohner von Cherson sollten das Recht auf russische Pässe bekommen, sagte ein moskautreuer Regionalpolitiker am Freitag. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti bezeichnete Kirill Stremoussow als stellvertretenden Leiter der militärisch-zivilen Gebietsverwaltung von Cherson. „Wir werden uns maximal in den Aufbau der Russischen Föderation integrieren“, kündigte dieser an. Schon in den kommenden Monaten werde Cherson vollständig auf den Rubel als Währung umstellen.

Ein ranghoher Vertreter der Kremlpartei Geeintes Russland bekräftigte am Freitag Moskaus dauerhaften Anspruch auf das Gebiet Cherson. „Russland ist für immer hier!“, sagte der Duma-Abgeordnete Andrej Turtschak. Das müsse den mehr als 200.000 Einwohnern klar gemacht werden. In der Stadt am Fluss Dnipro protestieren die Einwohner immer wieder gegen die russische Besatzungsmacht.

Russland feiert am Montag, dem 9. Mai, den sowjetischen Sieg über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Bei der traditionellen großen Militärparade in Moskau wird Präsident Wladimir Putin sprechen. Erwartet wird, dass er dabei die weitere Richtung für den zweieinhalb Monate alten Angriffskrieg gegen die Ukraine vorgibt. Allerdings weigert er sich, von einem Krieg zu sprechen, und verbietet die Verwendung des Wortes.

Genau für diesen symbolträchtigen Tag lud Selenskyj Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew ein. Scholz könne einen „sehr starken politischen Schritt“ unternehmen und am 9. Mai in die ukrainische Hauptstadt kommen, sagte der Präsident bei einer Veranstaltung der Londoner Denkfabrik Chatham House.

Zur Einladung Selenskyjs an Scholz für den 9. Mai verwies ein Sprecher der Bundesregierung auf bereits bekannte Termine. Dazu zählt der Antrittsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Montag. „Am Vortag werden der Bundeskanzler, seine G7-Kollegen und der ukrainische Staatspräsident in einer Video-Schalte am historischen Jahrestag des Weltkriegsendes über die Lage in der Ukraine beraten“, sagte der Sprecher.

Zum Krieg in der Ukraine plant Scholz eine Fernsehansprache, die am Sonntagabend im Fernsehen übertragen werden soll. Ebenfalls am Sonntag reist Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf Einladung des ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk nach Kiew - und könnte dort möglicherweise auch Präsident Selenskyj treffen.

Wochenlang gab es zwischen Kiew und Berlin Verstimmungen, weil ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht erwünscht war. Scholz hatte die Ausladung als Hindernis für eine eigene Reise bezeichnet. Am Donnerstag räumten Steinmeier und Selenskyj die Irritationen in einem Telefonat aus. Scholz kündigte daraufhin an, dass Außenministerin Annalena Baerbock nach Kiew reisen werde.

Zum ersten Mal seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar hat der Weltsicherheitsrat eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine abgegeben. Die Mitglieder des höchsten UN-Gremiums haben sich darin hinter Vermittlungsbemühungen von UN-Generalsekretär António Guterres in der Ukraine gestellt. In einer am Freitag auch von Russland angenommenen Erklärung ist von „starker Unterstützung“ für den Einsatz von Guterres die Rede, eine friedliche Lösung im „Disput“ in der Ukraine zu finden. In dem kurzen Text werden die Begriffe „Krieg“, „Invasion“, „Konflikt“ und auch die russische Sprachregelung „spezielle Militäroperation“ nicht erwähnt.

US-Präsident Joe Biden gab unterdessen weitere Militärhilfen für die Ukraine frei. Mit einem zusätzlichen Paket solle das Land Artilleriemunition, Radargeräte und andere Ausrüstung erhalten, kündigte Biden an. Ein 150 Millionen US-Dollar (rund 142 Millionen Euro) schweres Paket sei genehmigt worden, hieß es aus dem US-Außenministerium.

Einschließlich dieser Hilfen haben die USA der ehemaligen Sowjetrepublik seit Kriegsbeginn Waffen und Munition im Wert von mehr als 3,8 Milliarden US-Dollar (rund 3,6 Milliarden Euro) zugesagt oder bereits geliefert. Biden hat den US-Kongress außerdem um weitere 33 Milliarden US-Dollar (31,3 Milliarden Euro) für Militärhilfe und humanitäre Unterstützung gebeten.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine die Rolle der Bundesregierung gelobt. „Deutschland spielt bei der Unterstützung der Ukraine und der Nato-Länder an der Ostflanke seit vielen Monate eine wichtige und sehr konstruktive Rolle“, sagte Stoltenberg der „Welt am Sonntag“. Berlin habe der Ukraine wirtschaftliche und militärische Unterstützung zugesagt, die Ampel-Koalition trage die Sanktionen gegen Russland „in vollem Umfang“ mit und habe neben Flugzeugen, Schiffen und Flugabwehrsystemen auch zusätzliche Truppen an die Nato-Ostflanke entsandt.

Stoltenberg warnte zudem Russland vor dem Einsatz von Atomwaffen im Ukraine-Krieg. „Unsere Botschaft ist eindeutig: Nach einem Einsatz von Nuklearwaffen würde es auf allen Seiten nur Verlierer geben“, sagte Stoltenberg. „Einen Atomkrieg kann man nicht gewinnen, und er sollte nie geführt werden, das gilt auch für Russland.“

Die Allianz hat laut Stoltenberg aber keine Hinweise darauf, dass speziell die russischen Nuklearwaffen seit Beginn des Krieges am 24. Februar in einer höheren Bereitschaftsstufe seien. Moskau hat allgemein seine Abschreckungswaffen in Alarmbereitschaft versetzt, was als Drohung auch mit dem atomaren Arsenal verstanden wird.

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, schloss unterdessen eine Zusammenarbeit mit Kremlchef Putin nach Kriegende aus. „Russlands Präsident hat sich von der zivilisierten Welt verabschiedet“, sagte Heusgen den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag). Putin gehöre für die von Russland begangenen Kriegsverbrechen vor ein internationales Gericht.

In Mariupol liegt der letzte Verteidigungsposten der Ukrainer auf dem Gelände des Stahlwerks Azowstal ständig unter russischem Feuer. Ziel der russischen Truppen ist angeblich, das mit Bunkern und Tunneln stark befestigte Fabrikgelände bis zum 9. Mai zu erobern. Bei den bisherigen Evakuierungen durften nur Zivilisten, meist Frauen, Kinder oder ältere Menschen, das Werk in Richtung ukrainisch kontrolliertes Gebiet verlassen. Am Freitag waren es nach Kiewer Angaben 50 Personen. Am Samstag soll es eine weitere Fluchtmöglichkeit geben.

Soldaten und Verwundete sitzen indes unter der Erde fest. Die Ukraine versuche, auch sie herauszuholen, sagte Selenskyj. „Wir arbeiten auch an diplomatischen Optionen, um unser Militär zu retten, das immer noch auf Azowstal verbleibt.“ Internationale Vermittler seien beteiligt. Er drohte, es werde keine Gespräche mehr mit Russland geben, wenn die Zivilisten und Soldaten in Azowstal getötet würden.

Italien hat die in der Toskana angedockte Megajacht „Scheherazade“ beschlagnahmt, die Ermittlern zufolge heimlich Russlands Präsidenten Wladimir Putin gehören könnte. Die Finanzpolizei ordnete das 140 Meter lange Schiff jemandem zu, der Verbindungen zu „prominenten Elementen der russischen Regierung“ und anderen Leuten von der EU-Sanktionsliste hat, wie die Regierung in Rom am Freitagabend mitteilte. Die unter der Flagge der Kaimaninseln fahrende Jacht, die zuletzt im Hafen von Marina di Carrara gewartet worden war, sei den Behörden schon länger aufgefallen.

(peng/dpa)
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