Russische Angriffe in der Nähe von Kiew Hunderttausende Ukrainer in Gefahr – Die Nacht im Überblick

Kiew/Moskau · Die Lage der Menschen in vielen Städten der Ukraine verschlimmert sich. Die ukrainische Armee beobachtet ein Zusammenziehen russischer Truppen in der Nähe von Kiew. Wolodymyr Selenskij kritisiert eine fehlende Reaktion des Westens nach neuer Angriffsdrohung aus Moskau.

Ein ukrainischer Soldat hilft einem älteren Mann in Kiews westlicher Vorstadt Irpin über die Straße.

Ein ukrainischer Soldat hilft einem älteren Mann in Kiews westlicher Vorstadt Irpin über die Straße.

Foto: dpa/Diego Herrera

Zwölf Tage nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine verschlimmert sich die Lage Hunderttausender Menschen in den angegriffenen Städten. Die ukrainische Regierung mahnt eine sofortige Evakuierung an. Die Angriffe und Gefechte gingen in der Nacht weiter. Berichte über den Beschuss eines Forschungsreaktors in Charkiw lösten neue Sorgen über erhöhte Radioaktivität aus.

Hunderttausende Kiewer brauchen Evakuierung

Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamtes müssen  mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer sofort aus ihren Städten evakuiert werden. Es gebe bereits mehrere Dutzend Städte in acht Regionen im Land, in denen die humanitäre Situation katastrophal sei, berichtete die Internetzeitung „Ukrajinska Prawda“ unter Berufung auf das Präsidialamt. Das Amt warf Russland vor, humanitäre Korridore als Vorwand zu benutzen, um die eigenen militärischen Positionen zu stärken.

Schulze warnt vor humanitärer Katastrophe

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat der Ukraine weitere humanitäre Hilfen in Aussicht gestellt. Erste Soforthilfen seien bereits in der Ukraine angekommen, weitere würden folgen, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das Ministerium konzentriere sich dabei auf die Unterbringung und Betreuung der Binnenflüchtlinge. „Es droht eine humanitäre Katastrophe“, sagte die Ministerin. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine bringe unermessliches Leid über die Frauen, Männer und Kinder.

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Russland greift die Ukraine an

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Foto: AP/Vadim Ghirda

Das Kriegsgeschehen

In der Nacht meldete die ukrainische Seite Angriffe und Kämpfe in mehreren Gebieten. Im Süden sei vom Meer aus ein Raketenangriff auf nicht näher genannte „Objekte der kritischen Infrastruktur“ im Dorf Tusly südlich der Hafenstadt Odessa ausgeführt worden, teilte ein lokaler Beamter in einem Video auf Facebook mit. Im Gebiet Luhansk gebe es schwere Gefechte zwischen der ukrainischen Armee und russischen Truppen, schrieb Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar bei Facebook.

In der ostukrainischen Großstadt Charkiw ist nach ukrainischen Angaben der Fernsehturm bei einem Angriff beschädigt worden. Die Fernsehübertragung sei vorübergehend ausgefallen, sagte der Chef der regionalen Militärverwaltung, Oleh Synjehubow, der Agentur Unian zufolge. Nach Angaben des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU wurde in Charkiw ein Forschungszentrum mit Atommaterial mit Raketenwerfern beschossen. Die Behörde warnte, ein Treffer in dem Forschungsreaktor könne im schlimmsten Fall eine Umweltkatastrophe auslösen. Das russische Verteidigungsministerium behauptete laut Agentur Itar-Tass, der ukrainische Geheimdienst wolle die Anlage sprengen. Unabhängige Informationen gab es zunächst nicht.

Selenskyj kritisiert Schweigen nach neuer Drohung Moskaus

Der ukrainische Präsident hat ein Ausbleiben internationaler Reaktionen auf die Androhung Moskaus, nun auch Gebäude der Waffenindustrie seines Landes anzugreifen, kritisiert. „Denken Sie an das Gefühl der Straffreiheit der Invasoren“, sagte Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. Russland könne seine „geplanten Gräueltaten“ ankündigen, weil es keine Reaktion gebe. Er betonte, in den teils vor Jahrzehnten gebauten Fabriken arbeiteten Tausende Menschen, sie befänden sich in Städten und Hunderttausende Menschen lebten in ihrer Nähe.

Letzte OSZE-Beobachter verlassen die Ukraine

Die letzten internationalen OSZE-Beobachter verlassen vorübergehend die Ukraine, wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mitteilte. Anfang vergangener Woche hatten noch mehrere Mitglieder des zuletzt rund 500 Personen starken Teams in umkämpften ukrainischen Städten wie Charkiw und Cherson festgesessen. Am Dienstag starb eine ukrainische Mitarbeiterin beim Beschuss von Charkiw, als sie Vorräte für ihre Familie besorgen wollte.

Lindner will Firmen in Existenznot helfen

Bundesfinanzminister Christian Lindner will Unternehmen unter die Arme greifen, denen wegen Sanktionen gegen Russland die Pleite droht. „Denkbar sind gezielte Hilfen für Unternehmen, die in ihrer Existenz gefährdet sind“, sagte der FDP-Chef dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Entgangene Gewinne werden wir aber nicht ausgleichen könnten“, betonte der Finanzminister.

Netflix stoppt Russland-Geschäft

Der Video-Dienst Netflix stellt den Betrieb in Russland ein. Bereits vor einigen Tagen hatte der Streaming-Riese angekündigt, er werde entgegen den Vorschriften keine russischen TV-Sender über die Plattform verfügbar machen. Jetzt zieht der US-Konzern den Stecker: Angesichts der Situation werde der Dienst ausgesetzt, sagte eine Netflix-Sprecherin. Bisherige Kunden werden den Dienst noch schauen können, bis die nächste monatliche Zahlung fällig wird.

Tiktok schränkt Funktionen in Russland ein

Tiktok schränkt den Dienst in Russland ein, da nach einer Gesetzesänderung Gefängnisstrafen für Äußerungen drohen, die von der offiziellen Darstellung des Krieges in der Ukraine abweichen. Nutzer in Russland werden nicht mehr live streamen und neue Inhalte in den Videodienst hochladen können. Man habe angesichts der neuen Gesetzeslage keine andere Wahl, schrieb Tiktok bei Twitter. Nach der Gesetzesänderung von Freitag kann die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über russische Streitkräfte mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.

Was heute wichtig wird

Zwischen Unterhändlern der Ukraine und Russlands ist eine dritte Verhandlungsrunde geplant, Uhrzeit und der genaue Ort waren zunächst offen. In Den Haag kommt eine Völkermordklage der Ukraine gegen Russland vor den Internationalen Gerichtshof. US-Außenminister Antony Blinken besucht auf seiner Reise in Osteuropa Litauen und Lettland. Am Abend europäischer Zeit soll der UN-Sicherheitsrat über die humanitäre Lage in der Ukraine beraten.

(juju/dpa)
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