Russische Invasion EU-Kommission warnt vor Hungersnot in der Ukraine - Die Nacht im Überblick

Kiew · Die Lage in den umkämpften Städten der Ukraine wird immer dramatischer. Fortschritte bei Verhandlungen über eine Friedenslösung bewerten Moskau und Kiew unterschiedlich. Ein Überblick zum Geschehen in der Nacht.

 Ein Mann bei Aufräumarbeiten in einer zerstörten Schule in Kiew am Freitag.

Ein Mann bei Aufräumarbeiten in einer zerstörten Schule in Kiew am Freitag.

Foto: dpa/Rodrigo Abd

 Die militärische Lage in der Ukraine ist in der Nacht zum Samstag unübersichtlich. Es fehlen unabhängige Berichte. Offizielle Mitteilungen der Kriegsbeteiligten können von Eigeninteressen gefärbt sein.

Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist es am Freitag 9000 Menschen gelungen, die belagerte Stadt Mariupol zu verlassen. Insgesamt seien damit bisher mehr als 180.000 Menschen durch humanitäre Korridore in Sicherheit gelangt, sagte Selenskyj in einer Videobotschaft in der Nacht zum Samstag.

Selenskyj warf den russischen Invasoren eine „vorsätzliche Taktik“ vor, mit der eine humanitäre Katastrophe herbeigeführt werden solle. Erreicht werden solle das mit der Blockade der größten Städte, um die Ukraine zur Kooperation zu zwingen, sagte er in einer Videobotschaft in der Nacht zum Samstag.

In den Kampfgebieten nördlich und nordwestlich der Hauptstadt Kiew bemühen sich die ukrainischen Behörden nach eigenen Angaben um die Evakuierung der meistgefährdeten Brennpunkte. Dort seien zuvor mindestens 50.000 Zivilisten gerettet worden. „Die Besatzungstruppen erlauben uns nicht, die Evakuierung aus den Brennpunkten fortzusetzen“, teilte Olexij Kuleba, Leiter des humanitären Stabes der Region Kiew, in der Nacht zum Samstag auf Facebook mit. „Aber trotz des Zynismus des Feindes tun wir weiterhin alles, um das Leben unseres Volkes zu schützen.“

In Absprache mit der russischen Seite sind in den vergangenen Tagen wiederholt sogenannte Fluchtkorridore geöffnet worden, über die Zivilisten umkämpfte Städte und Ortschaften verlassen konnten. Die Vereinbarungen wurden jedoch nicht immer eingehalten, Zivilisten gerieten immer wieder unter Beschuss.

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs vom Freitagabend hat die Ukraine den Zugang zum Asowschen Meer während der russischen Belagerung der Hafenstadt Mariupol verloren. Russische Truppen versuchten weiter, die Stadt selbst zu stürmen und die Kämpfe dauerten an, hieß es weiter. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief Russland nachdrücklich zu ernsthaften und ehrlichen Gesprächen über eine Friedenslösung auf. Sein Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk betonte die sogenannten roten Linien für die Verhandlungen mit der russischen Seite - Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine sowie ihre staatliche Unabhängigkeit.

„Sinnvolle Verhandlungen über Frieden und Sicherheit für die Ukraine, ehrliche Verhandlungen und ohne Verzögerungen, sind die einzige Chance für Russland, seinen Schaden durch eigene Fehler zu verringern“, sagte Selenskyj am späten Freitagabend in einer Videoansprache. Sollte die territoriale Unversehrtheit der Ukraine nicht wiederhergestellt werden, so werde Russland „ernsthafte Verluste“ erleiden.

„Es ist an der Zeit, die territoriale Einheit und Gerechtigkeit für die Ukraine herzustellen“, sagte er. „Ansonsten wird Russland derartige Verluste erleiden, dass es mehrere Generationen brauchen wird, um sich wieder aufzurichten.“ Selenskyj bekräftigte seine Forderung nach direkten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine Friedenslösung.

Die Kriegsparteien führen seit dem 28. Februar Verhandlungen darüber, zuletzt beinahe täglich mittels Videoschalte. Während Moskau von erkennbaren Kompromissen vor allem bei der Frage eines neutralen Status der Ukraine spricht, sieht Kiew keine größeren Fortschritte. Russland strebt neben der Neutralität der Ukraine unter anderem eine Demilitarisierung des Landes an. Die Ukraine wiederum fordert neben einer sofortigen Waffenruhe den Abzug der russischen Truppen sowie anschließende konkrete Sicherheitsgarantien.

Angesichts der Kämpfe in der Ukraine warnt die EU-Kommission vor einer Hungersnot in dem Land. „Die Menschen in den belagerten Städten sind apokalyptischen Zuständen ausgesetzt - keine Nahrung, kein Wasser, keine medizinische Versorgung und kein Ausweg“, sagte der für humanitäre Hilfe und Krisenschutz zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic der „Welt am Sonntag“. Die humanitäre Krise in der Ukraine sei heute schon kritisch, könne aber noch schlimmer werden.

Deutschland verstärkt nach Angaben von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze die Hilfen für die Ukraine unter anderem mit schwerem Gerät zur Brandbekämpfung und für den Zivilschutz der Bevölkerung im Krieg. "Wir helfen zum Beispiel mit Feuerlöschgeräten, Sattelschleppern, Stromgeneratoren, Unterkünften für Menschen auf der Flucht und psychologischer Betreuung", sagt die SPD-Politikerin der "Augsburger Allgemeinen" einem Vorabbericht zufolge. Am Freitag sei bereits eine Landung in das kriegsgeplagte Land geschickt worden.

Unterdessen sind am Freitag drei russische Kosmonauten auf der internationalen Raumstation ISS angekommen. Dabei trugen sie erst blaue und dann gelbe Fluganzüge - die Landesfarben der Ukraine. Unklar war, ob damit eine Botschaft verbunden war. Einer der Neuankömmlinge, Oleg Artemjew, sagte bei einem Gespräch mit Familienangehörigen auf der Erde auf die gelben Anzüge angesprochen, jede Besatzung wähle ihre Fluganzüge selbst aus. „Wir haben tatsächlich viel gelbes Material angesammelt, das wir also benutzen mussten. Deshalb also mussten wir gelb tragen.“

Am heutigen Samstag sind in Deutschland in mehreren Städten Friedenskundgebungen und Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine geplant. US-Verteidigungsminister Austin setzt seinen Besuch in Bulgarien fort und will mit Ministerpräsident Kiril Petkow unter anderem über die Lage in der Ukraine sprechen.

(peng/dpa/Reuters/AFP/kna)
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