Deutsche Verteidigungsministerin in der Ukraine Lambrecht besucht in Odessa Gepard-Stellung

Odessa · Bei ihrem ersten Besuch in der Ukraine hat die deutsche Verteidigungsministerin die Lieferung einer Einheit des Luftabwehrsystems Iris-T SLM angekündigt. Außerdem inspizierte Christine Lambrecht einen aus Deutschland stammenden Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard.

 Verteidigungsministerin Lambrecht mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Olexij Resnikow (2.v.r) im Getreidehafen von Odessa.

Verteidigungsministerin Lambrecht mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Olexij Resnikow (2.v.r) im Getreidehafen von Odessa.

Foto: dpa/Jörg Blank

Es ist kurz vor 15.30 Uhr, als die Sirenen Luftalarm geben. Im Gebäude der Eisenbahndirektion Odessa lässt sich Christine Lambrecht gerade von Olexij Resnikow die Lage im Abwehrkampf der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg erklären. Wenige Minuten später sitzt die Verteidigungsministerin mit ihrem Amtskollegen ein paar Stockwerke tiefer im Luftschutzbunker der Behörde. Es hat was von Museum: Im Vorraum liegen alte Gasmasken im Regal, die großen Warntafeln an den Wänden erinnern an Sowjetzeit und Kalten Krieg.

Doch es ist ein heißer, aktueller Krieg, in den sich Lambrecht an diesem Samstag für einen Tag hat fahren lassen. Schon in der Nacht zuvor gibt es in Odessa Luftalarm. Nach ukrainischen Angaben schlagen in einem Industriegebiet zwei russische Iskander-Raketen ein. Verletzt wird niemand.

Zu dieser Zeit besucht die Ministerin noch ganz offiziell die kleine ukrainische Nachbarrepublik Moldau - vom geplanten Besuch in der Ukraine weiß die Öffentlichkeit in Deutschland da noch nichts. Aus Sicherheitsgründen bleibt die Stippvisite bis Samstagabend geheim.

In Moldau ist es gerade ziemlich friedlich, auch wenn die Menschen unter einer Inflationsrate von etwa 40 Prozent ächzen - der höchsten innerhalb Europas. Der Gaspreis ist in einem Jahr um 380 Prozent gestiegen. Von den seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar in das Land gekommenen 500.000 Flüchtlingen sind etwa 95.000 geblieben. Die Stimmung, die am Anfang so offen war, drohe zu kippen, heißt es. Moldau hat nur 3,2 Millionen Einwohner.

Auch in Chisinau, der Hauptstadt von Moldau, bestimmt der russische Krieg die Themen. Lambrecht warnt angesichts von Putins Drohungen mit Atomwaffen vor einer Lähmung des Westens. Sie sagt ihrem Amtskollegen Anatolie Nosatii weitere Unterstützung bei Ausrüstung und Ausbildung der Armee zu. Es geht auch um die Beschaffung von Drohnen.

Am Samstagmittag hat Lambrecht dann ihr hellbeiges Kostüm und die hohen Schuhe, mit denen sie in Moldau die Ehrengarde abgeschritten hat, gegen ein anderes Outfit getauscht. Als sie am Grenzübergang Palanca vom Konvoi der Gastgeber zu den Fahrzeugen der ukrainischen Seite wechselt, steht sie ganz in Schwarz gekleidet zwischen den Wagen. Oberteil, Hose, feste Schuhe - alles Ton in Ton. Soll ihr nur niemand wieder falsches Schuhwerk vorwerfen, mag die 57-Jährige gedacht haben. So wie im April, als manche sich mokierten, sie sei in Stöckelschuhen zum Truppenbesuch nach Mali gereist.

Nun also Odessa, fast 25 Grad, es ist Spätsommer in der Stadt. Am Tag läuft das Leben beinahe normal, die Menschen drängen sich in den Geschäften, sitzen in Cafés. Wenn da nur nicht die von 23.00 Uhr an geltende Ausgangssperre wäre und die vielen Luftalarme in der Nacht.

An etlichen Orten in der Stadt sind geschützte Militärstellungen zu sehen. Lange haben sie in der hübschen Schwarzmeerstadt damit gerechnet, dass der russische Präsident Wladimir Putin mit seinen Soldaten Odessa überrennt und seine Truppen weiter Richtung Moldau marschieren lässt. Doch die Lage hat sich geändert. Trotz der russischen Annexion besetzter Gebiete kann der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag etwa die Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Osten des Landes feiern.

Zurück in den Luftschutzbunker. Der Weg dort hin führt vorbei an einem mit weißen Sandsäcken verbarrikadierten Haupteingang. Im Hintergrund surrt die Lüftung, es ist stickig, es wird immer wärmer. Lambrecht und ihr Kollege sitzen an Holztischen, die aussehen, als hätten an ihnen vor Jahrzehnten ukrainische Schülerinnen und Schüler gebüffelt. Resnikow nutzt die 45 Alarm-Minuten, um Lambrecht erneut den Wunsch nach mehr und moderneren Waffen vorzutragen.

Die Russen hätten eine Rakete vom Typ Kalibr abgeschossen, höchstwahrscheinlich von einem Schiff aus, erklärt Resnikow der deutschen Kollegin den Grund für den Aufenthalt im Bunker. Deswegen brauche sein Land dringend moderne Anti-Schiffs-Raketen. Lambrecht entgegnet lediglich, die Situation mache deutlich, wie wichtig die rasche Lieferung einer ersten Einheit des bodengestützten Luftabwehrsystems Iris-T SLM sei. Das moderne System, über das noch nicht einmal die Bundeswehr verfügt, soll nach ihren Worten in wenigen Tagen geliefert werden. Direkt vom Hersteller.

Die Nachricht von der Iris-T-SLM-Lieferung ist - jedenfalls öffentlich - die einzige wirkliche Neuigkeit, die Lambrecht im Gepäck hat. Ein Ja zum immer lauteren Wunsch der Ukraine nach der Lieferung moderner Leopard-2-Kampfpanzer? Fehlanzeige. Die Ministerin bestätigt auch im direkten Austausch mit Resnikow, den sie bei der Begrüßung herzlich umarmt und mit einem freundschaftlichen Du anredet, den zurückhaltenden Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der betont stets, in dieser Frage werde es keinen deutschen Alleingang geben.

Nach den vorangegangenen Besuchen anderer Kabinettsmitglieder und auch von Scholz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew will Lambrecht in dem immer wieder von Angriffen bedrohten Odessa ein Zeichen der Solidarität setzen. Gemeinsam mit Resnikow besucht sie Verwundete Kämpfer in einem Militärkrankenhaus und nimmt an der Ehrung besonders verdienter Soldaten teil. In einer umfangreichen Abwehrstellung der Ukrainer auf einer Anhöhe vor der Stadt lässt sie sich durch lehmige Schützengräben und von dickem Beton gesicherte Geschützbunker führen.

Lambrechts letzter Programmpunkt vor der hereinbrechenden Nacht steht auf einer Brücke im Getreidehafen von Odessa. Einer von insgesamt 30 von Deutschland an die Ukraine gelieferten Gepard-Flugabwehrpanzer lässt dort seine Radarantenne kreisen. Das schwere Gerät steht indes nur zu Demonstrationszwecken wie auf dem Präsentierteller da - die wirkliche Kampfposition des Panzers ist geheim. Zusammen mit Resnikow spricht Lambrecht mit der Gepard-Besatzung - alles Männer, die in Deutschland an dieser Waffe ausgebildet wurden.

Mit den Bildern, die auf der Brücke entstehen, hat Lambrecht ein für sie wichtiges Signal gesetzt: Jeder soll sehen, dass Deutschland die Ukraine mit schweren Waffen wie diesem Panzer unterstützt.

Mitten in der Nacht wird Lambrecht dann wieder mit der harten Wirklichkeit des Krieges konfrontiert. Ein neuerlicher Luftalarm reißt sie aus dem Schlaf. Mit anderen Mitgliedern ihrer Delegation sucht sie um kurz vor 1 Uhr Schutz im Bunker ihres Hotels.

Ungewöhnlich früh war die Ministerin an diesem Abend ins Bett gegangen. Aus Sicherheitsgründen habe sie nämlich vor der Reise ihr Mobiltelefon abgegeben, damit niemand sie orten könne, erzählt die Ministerin. Eigentlich hätte sie wohl so spät noch auf dem Handy gelesen. Nach 20 Minuten gibt es Entwarnung. Es bleiben noch ein paar Stunden bis zur Rückfahrt nach Moldau und dem Flug nach Berlin.

(felt/dpa)
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