Kurznachrichtendienst nicht erreichbar Präsident Gül umgeht Twitter-Sperre in der Türkei

Istanbul · Soziale Netzwerke sieht Recep Tayyip Erdogan als Bedrohung an. Am Freitag ließ der türkische Ministerpräsident den Zugang zu Twitter sperren. Das Netz überschüttet Erdogan mit Spott und Kritik. So auch Präsident Gül, der die Sperre verurteilt - via Twitter.

2014: So reagieren Twitter-User auf Erdogans Sperre
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2014: So reagieren Twitter-User auf Erdogans Sperre

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Foto: afp, sd

Seit Freitag können Internetnutzer in der Türkei nicht mehr uneingeschränkt auf den Kurznachrichtendienst Twitter zugreifen. Beim Versuch, die Twitter.com-Website zu öffnen, stießen einige Nutzer auf eine Mitteilung, die offenbar von den türkischen Regulierungsbehörden stammt. Darin hieß es, dass die Seite auf gerichtliche Verfügung hin blockiert worden sei.

Twitter teilte mit, den Berichten nachzugehen. Zudem veröffentlichte das US-Unternehmen mit Sitz in San Francisco einen Tweet, in dem Nutzern in der Türkei erklärt wurde, wie sie per SMS weiter Mitteilungen absetzen können.

All hail Prime Minister Erdogan who failed woefully at becoming a Sultan in Syria. Salute! #TwitterisblockedinTurkey pic.twitter.com/7Bstqnx8KQ

Unter dem Hashtag #twitterisblockedinturkey kursieren via Twitter seit dem frühen Freitag unzählige Fotos und Karikaturen, die das Twitter-Verbot und Erdogans Vorgehen mit Spott versehen. So wird der hellblaue Twitter-Vogel zum "Twitler", in Anlehnung an Adolf Hitler mit Nazi-Binde am Arm und Schnurrbart auf dem Schnabel. Weitere Fotos sehen Sie hier.


Die von der Sperre betroffenen User in der Türkei aber können die Sperre umgehen. Nötig sind dazu ein paar wenige Kniffs, um den DNS-Server zu ändern. Wie das "Domain Name System" verändert werden kann, lesen Sie hier. Das Umgehen dieser Sperre mit Mobilgeräten ist hingegen nicht möglich. Zudem gibt es zwei weitere Möglichkeiten für Nutzer, auch weiterhin aus der Türkei zu twittern: per SMS oder über das Einrichten eines VPN-Zugangs. Infos gibt es hier.

Gegenwind erreichte Erdogan ausgerechnet vom türkischen Staatschef Abdullah Gül, der die Sperre des Kurzbotschaftendiensts Twitter verurteilte. Der Präsident setzte sich am Freitag über das in der Nacht erlassene Verbot hinweg und erklärte über seinen Twitter-Account, der Bann sei inakzeptabel.

Seit längerem sind soziale Medien Erdogan ein Dorn im Auge. Oder anders formuliert: Der Ministerpräsident fühlt sich in seiner Machtfülle bedroht. Als das Volk im vergangenen Jahr in allen größeren Städten, aber vor allem in Istanbul, auf die Straße ging und sich blutige Schlachten mit Polizei und Militär lieferte, formierte sich der Widerstand vor allem über Twitter.

Statistiken belegen die Macht, die Twitter auf dem Bosporus mittlerweile erlangt hat: Der Anteil der Internetuser, die über Twitter kommunizieren, ist in der Türkei verhältnismäßig hoch. Fast 40 Prozent nutzen den Kurznachrichtendienst. In Deutschland hingegen sind es nur sechs, in den USA sind es nur

Erdogan hatte am Donnerstag vor Tausenden Anhängern angekündigt, gegen Twitter und andere soziale Medien vorzugehen. "Wir werden sie alle auslöschen." Was die internationale Gemeinschaft dazu sage, sei ihm egal. "Jeder wird sehen, wie mächtig die Türkische Republik ist." Anschließend veröffentlichte Erdogans Büro eine Mitteilung, in der Twitter vorgeworfen wurde, gerichtliche Verfügungen zur Entfernung von bestimmten Links nicht umzusetzen.

Einige Nutzer hatten in den vergangenen Wochen auf Twitter und in anderen Online-Netzwerken auf Tonaufnahmen und Dokumente verwiesen, die angeblich Beweise für Korruptionsvorfälle im inneren Zirkel Erdogans liefern und dessen Verwicklung belegen sollen. Der Regierungschef sprach von manipulierten Aufnahmen.

Der Korruptionsskandal sei Teil eines aus dem Ausland gesteuerten Versuchs, ihn zu schwächen. Die Debatte hat wegen der Kommunalwahl am 30. März eine zusätzliche Brisanz erhalten. Erdogan hat auch mit einem Verbot von Facebook und YouTube gedroht.

Die Unterbrechungen bei Twitter in der Türkei lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Viele Kritiker verglichen die Türkei mit dem Iran oder Nordkorea, wo soziale Medien streng kontrolliert werden. Auch zu neuen Protesten wurde aufgerufen.

(nbe)
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