Noureddine Bhiri Machtkämpfe in Tunesien - Verhafteter Ex-Minister im Hungerstreik

Tunis · Im Juli hat der tunesische Präsident Saïed Parlament und Regierung entmachtet, im Oktober eine neue, nur begrenzt handlungsfähige Regierung eingesetzt. Nun wurde ein ehemaliger Minister verhaftet.

 Der tunesische Innenminister Taoufik Charfeddine bei einer Pressekonferenz am Montag.

Der tunesische Innenminister Taoufik Charfeddine bei einer Pressekonferenz am Montag.

Foto: AFP/ANIS MILI

Der in Tunesien vor einigen Tagen festgenommene Ex-Justizminister Noureddine Bhiri steht nach Angaben der Regierung unter "Terrorverdacht". Die Behörden seien gegen Bhiri vorgegangen, da sich "schwerwiegende Verdachtsmomente" gegen diesen erhärtet hätten, sagte Innenminister Taoufik Charfeddine am Montagabend. Es gehe insbesondere um die "Herstellung und Übergabe" gefälschter Identitätspapiere und Staatsangehörigkeitsdokumente. Der 63-jährige Vizechef der islamistischen Ennahdha-Partei trat derweil in den Hungerstreik und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

Bhiri verweigere Essen und Medikamente, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Montag von einem Mitglied einer Delegation, die den Ex-Minister im Krankenhaus besucht hatten. Entgegen anderslautenden Berichten schwebe der Ex-Minister aber nicht in Lebensgefahr.

Der Delegation, die Bhiri am Sonntagabend besucht hatten, gehörten den Angaben zufolge drei Vertreter der unabhängigen Instanz zur Vermeidung von Folter und zwei Vertreter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte an. Sie besuchten Bhiri in einem Krankenhaus in der nördlichen Stadt Bizerte. Der 63-Jährige leidet an mehreren chronischen Krankheiten, darunter Diabetes und Bluthochdruck. Nach Angaben seines Arztes muss er eigentlich täglich 16 Tabletten nehmen.

Bhiri war nach Angaben seines Anwalts am Freitag vor seinem Haus in der Hauptstadt Tunis von Männern in Zivil "brutal festgenommen" worden. Sein Verbleib war zunächst unklar. Später bezeichnete das Innenministerium die Festnahme als "Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit".

Die Ennahdha und Bhiri hatten in den vergangenen Jahren und bis zur Entmachtung von Regierung und Parlament Ende Juli durch Präsident Kaïs Saïed großen Einfluss auf die tunesische Politik gehabt. Dem Präsidenten werfen die Islamisten einen Putsch vor.

Am Sonntagabend hatten Anhänger der Ennahdha-Partei und Abgeordnete erklärt, Bhiri befinde sich in einem "lebensbedrohlichen Zustand", Medikamente würden ihm vorenthalten. Der Anwalt der Partei kündigte am Montag vor Journalisten an, dass er eine Klage wegen "Entführung" gegen Saïed einreichen wolle. Bhiris Frau Saida Akremi, die selbst ebenfalls Anwältin ist, berichtete, dass ihr Mann einen "Herzanfall" erlitten habe und ihr ein Besuch verwehrt werde.

Dagegen sagte das Mitglied der Besucherdelegation, der 63-Jährige sei am Sonntagabend "lebendig und klar" gewesen. Er liege in einem Einzelzimmer in der kardiologischen Abteilung des Krankenhauses. Dorthin sei der Ex-Minister am Sonntag gebracht worden, weil er seit Freitag die Essens- und Medikamentenaufnahme verweigere, sagte das Delegationsmitglied, das anonym bleiben wollte.

Die Festnahme Bhiris ist Ausdruck des Machtkampfes in Tunesien, das lange als Musterland des Arabischen Frühlings galt. Allerdings hat das nordafrikanische Land auch mehr als zehn Jahre nach dem demokratischen Wandel nicht zu politischer Stabilität gefunden. Seit dem Sturz von Langzeit-Machthaber Zine El-Abidine Ben Ali gab es zahlreiche Regierungen, von denen sich einige nur Monate an der Macht halten konnten.

Im Juli vergangenen Jahres hatte Präsident Saïed unter Verweis auf Notstandsgesetze die von Ennahda gestützte Regierung und das Parlament entmachtet. Im Oktober setzte er dann eine in ihren Vollmachten stark beschnittene neue Regierung ein. Die Volksvertretung ist weiterhin suspendiert.

Saïeds Vorgehen wurde anfangs von vielen Tunesiern unterstützt, die wegen anhaltender Blockaden aufgrund der zersplitterten politischen Landschaft des Landes frustriert waren. Gegner des Präsidenten befürchteten hingegen ein erneutes Abrutschen des Landes in die Diktatur. Sie bezeichnen das Vorgehen des Staatschefs als Putsch.

(peng/AFP)
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