Schon zwei Todesopfer bei Unruhen Türkische Regierung entschuldigt sich für Gewalt

Ankara · Nach den Unruhen vom Wochenende geht die türkische Regierung auf die Demonstranten zu: Vize-Regierungschef Bülent Arinc hat sich für den gewaltsamen Einsatz der Polizei bei den Protesten entschuldigt.

Das harte Durchgreifen sei "falsch und ungerecht" gewesen, sagte er am Dienstag nach einem Gespräch mit Staatspräsident Abdullah Gül. Die Gewalt in der Türkei droht derweil aber weiter zu eskalieren. In der Stadt Antakya im Süden des Landes gab es bei einer Demonstration ein zweites Todesopfer.

"Ich entschuldige mich bei den Bürgern", sagte Arinc. "Der erste Polizeieinsatz und die übertriebene Gewalt gegen Menschen, die aus Umweltbedenken heraus handelten, war falsch und ungerecht", sagte er.
Zugleich reichte er den Demonstranten die Hand und sagte, jedermanns Lebensstil sei wichtig für die Regierung und werde respektiert.

Unklar war, ob Arinc mit seiner Entschuldigung die Regierungslinie wiedergab oder seine eigene Meinung. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan befindet sich derzeit auf einer Reise im Ausland. Er hatte die Proteste als Werk der Opposition dargestellt und die Rücktrittsforderungen der Demonstranten zurückgewiesen.
Staatspräsident Gül hatte sich indes auf die Seite der Demonstranten gestellt und ihren Protest als Ausdruck ihrer demokratischen Rechte gelobt.

Derweil gab es widersprüchliche Informationen über den zweiten Todesfall bei Protesten im Süden des Landes. Die Regionalregierung der Provinz Hatay teilte mit, der Mann sei am Montagabend niedergeschossen worden und später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen. Möglicherweise hätten andere Demonstranten den tödlichen Schuss abgegeben, um die Stimmung anzuheizen, hieß es. Auch auf die Polizei sei geschossen worden.

Der örtliche Oberstaatsanwalt Abdullah Comert berichtete hingegen, eine Autopsie habe ergeben, dass der Mann einen Schlag auf den Kopf erhalten habe. Eine Schusswunde gebe es nicht. Weitere Ermittlungen seien eingeleitet worden. Zuvor war am Montag ein 20-jähriger Mann ums Leben gekommen, als ein Wagen in einen Protestzug gerast war. Die Behörden sprachen von einem Unfall.

Die Todesfälle könnten die Proteste mit Tausenden Demonstranten weiter anheizen, die am Dienstag den fünften Tag in Folge die Türkei erfassten. Auslöser war ein gewaltsamer Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten in einem Park am Taksim-Platz in Istanbul. Die Menschen hatten gegen die Abholzung alter Bäume protestiert, die der Umgestaltung des Platzes und dem Neubau eines Einkaufszentrums weichen sollen. Danach waren die Proteste auf zahlreiche türkische Städte übergesprungen.

Auch in der Nacht zum Dienstag hielten die Ausschreitungen in Ankara, Istanbul und anderen Städten an. Nach Angaben des Türkischen Menschenrechtsverbands wurden seit Beginn der Proteste rund 3300 Menschen festgenommen, mindestens 1300 wurden verletzt. Im Stadtzentrum von Ankara bezogen Bereitschaftspolizisten Stellung, um das Büro von Ministerpräsident Erdogan zu schützen.

(ap/felt/jco)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort