Spionage- und Terrorvorwürfe Journalist Can Dündar in der Türkei zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt

Istanbul · Der Journalist Can Dündar ist in der Türkei zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden. Ihm wird Spionage und Terrorunterstüzung vorgeworfen. Dündar lebt in Deutschland im Exil.

Der türkische Journalist Can Dündar lebt in Deutschland im Exil.

Der türkische Journalist Can Dündar lebt in Deutschland im Exil.

Foto: dpa/Arne Dedert

Der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar ist von einem Istanbuler Gericht zu gut 27 Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil gegen den früheren Chefredakteur der oppositionellen Zeitung "Cumhuriyet" wegen Unterstützung einer Terror-Gruppe und Spionage bezog sich auf einen brisanten Artikel über geheime Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien. In Deutschland stieß die Gerichtsentscheidung auf harsche Kritik, unter anderem von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Für die "Enthüllung vertraulicher Informationen und Spionage" verhängte das Istanbuler Gericht eine Strafe von 18 Jahren und sechs Monaten. Hinzu kommen acht Jahre und neun Monate Haft wegen "Unterstützung einer Terrororganisation". Damit ist offenbar das Netzwerk des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen gemeint, den Ankara für den Putschversuch gegen Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Juli 2016 verantwortlich macht.

Dündars Verteidiger hatten den Prozess boykottiert, weil sie nicht von einem fairen Prozess ausgingen. Die türkischen Behörden haben von Deutschland bereits Dündars Auslieferung gefordert. Im Oktober ordnete ein Gericht die Beschlagnahme von Dündars Vermögen in der Türkei an.

Wegen des 2015 veröffentlichten Artikels über die türkischen Waffenlieferungen war Dündar bereits im Jahr 2016 vor Gericht gestellt worden. Er wurde in erster Instanz wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Seine vom Verfassungsgericht angeordnete Freilassung nach mehr als drei Monaten Untersuchungshaft nutzte Dündar zur Flucht nach Deutschland. Erdogan kritisierte die Justiz dafür scharf.

2018 wurde das Urteil von einer höheren Instanz aufgehoben. Das Gericht ordnete einen neuen Prozess gegen Dündar wegen noch schwerer wiegender Spionagevorwürfe an. Außerdem verhinderten die türkischen Behörden jahrelang die Ausreise von Dündars Frau nach Deutschland, erst 2019 konnte sie zu ihrem Mann nach Berlin ziehen.

Mit dem Artikel über die Waffenlieferungen hatte Dündar den Zorn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen. Erdogan beschuldigte Dündar, ein "Agent" zu sein, der "Staatsgeheimnisse" preisgegeben habe.

Maas nannte das Urteil gegen Dündar auf Twitter einen "harten Schlag gegen unabhängige journalistische Arbeit in der Türkei". "Journalismus ist kein Verbrechen, sondern ein unverzichtbarer Dienst an der Gesellschaft - auch und gerade, wenn er kritisch und investigativ den Regierenden auf die Finger schaut", sagte der Außenminister demnach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zugleich erinnerte er die Türkei an ihre Pflicht, die EU-Menschenrechtskonvention einzuhalten.

Die Türkei steht international regelmäßig wegen ihrer systematischen Einschränkung der Pressefreiheit in der Kritik. Das Land belegt derzeit den 154. Platz auf der Rangliste der internationalen Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) verurteilte das Urteil gegen Dündar als "Akt der Barbarei". "Can Dündar hat recherchiert, berichtet und aufgedeckt - das ist guter Journalismus, aber kein Verbrechen", erklärte DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall in Berlin. "In freien Ländern gibt es dafür Journalistenpreise, in der Türkei hingegen Kerker." Der DJV-Vorsitzende rief die deutschen Sicherheitsbehörden auf, eine "Entführung" Dündars in die Türkei zu verhindern.

Die Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, Sevim Dagdelen, erklärte, das Urteil sei "ein einziger Skandal". Sie warf der Bundesregierung Nachgiebigkeit gegenüber Erdogan vor: "Statt Solidarität mit der verfolgten Opposition zu heucheln, muss die Bundesregierung ihren Schmusekurs gegenüber Erdogan beenden und klare Kante gegen dieses menschenverachtende Regime zeigen."

Die menschenrechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gyde Jensen, erklärte in Berlin, das Urteil sei "eine ganz persönliche Rache an einem von Erdogans profiliertesten Kritikern". Auch sie forderte von der Bundesregerierung, Dündar vor Erdogans Zugriff zu schützen.

(sed/chal/dpa/AFP)
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