Türkische Justiz "Explosion bei HDP-Wahlkundgebung war Anschlag"

Diyarbakir · Nach einem von Gewalt überschatteten Wahlkampf entscheiden die Türken am Sonntag in einer Richtungswahl über ihr neues Parlament.

Rauch steigt nach der Explosion bei der HDP-Wahlkampfveranstaltung auf.

Rauch steigt nach der Explosion bei der HDP-Wahlkampfveranstaltung auf.

Foto: afp, KLC/VPA

Am Samstag stellte sich heraus, dass die Explosionen bei einer Kundgebung der Kurdenpartei HDP am Vortag durch eine Bombe ausgelöst wurden. Der Sprengsatz, der am Freitag in Diyarbakir detonierte, sei mit Metallkugeln gefüllt gewesen, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Samstag aus Ermittlerkreisen in der südostanatolischen Stadt. Zwei Explosionen hatten im Abstand weniger Minuten die Kundgebung der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) erschüttert.

Dabei wurden zwei Menschen getötet und mehr als hundert weitere verletzt. Ein Tatverdächtiger sei noch nicht festgenommen worden, sagte ein Vertreter der Justiz. Es gebe aber Videoaufnahmen, außerdem seien Fingerabdrücke und ein Handy, das möglicherweise weitere Hinweise liefern könne, gefunden worden.

Rund 57 Millionen Stimmberechtigte sind zu der Wahl aufgerufen, bei der sich die von Staatschef Recep Tayyip Erdogan gegründete islamisch-konservative Partei AKP um ein neues Regierungsmandat bewirbt. Die HDP könnte bei der Wahl das Zünglein an der Waage sein. Der Angriff führte zu wütenden Protesten der HDP-Anhänger. Tausende Unterstützter der Partei protestierten am Samstag am Ort der Explosionen und machten die regierende AKP für den Angriff verantwortlich.

Eines der Opfer, ein 17-Jähriger, wurde am Samstag beigesetzt, wie ein AFP-Reporter berichtete. HDP-Chef Selahattin Demirtas rief seine Anhänger zur Ruhe auf. "Frieden wird siegen", erklärte er über den Kurzbotschaftendienst Twitter.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einer "Provokation" und rief die Bürger auf, nicht zuzulassen, dass "das Klima des Friedens und der Brüderlichkeit" im Land gestört werde. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu versprach eine rasche Untersuchung der Vorfälle. Die Regierung bestätigte zunächst nicht, dass es sich um einen Bombenanschlag handelte.

Die Linkspartei in Deutschland warf Erdogan vor, die Stimmung im Wahlkampf durch seine "aggressive Rhetorik" angeheizt zu haben. "Es ist eine Schande, dass ein Staatspräsident, statt zu Frieden und Respekt aufzurufen, Unruhe und Gewalt schürt", erklärte der Linken-Bundestagsabgeordnete Harald Weinberg.

Der türkische Wahlkampf war von zahlreichen Gewalttaten geprägt, die sich vorwiegend gegen die HDP richteten. Die HDP vertritt die kurdische Minderheit in der Türkei und könnte bei der Parlamentswahl erstmals die Zehn-Prozent-Hürde überspringen. Die Partei ist zum Sammelbecken all jener geworden, die unzufrieden mit der Regierung der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) sind.

Schafft die HDP am Sonntag den Sprung ins Parlament, stellt sie mindestens 60 Abgeordnete. Sie würde damit vermutlich die Pläne Erdogans durchkreuzen, aus der türkischen parlamentarischen Demokratie per Verfassungsänderung ein Präsidialsystem zu machen. Einige Umfragen sehen sogar die Regierungsmehrheit der AKP gefährdet.

Die seit 2002 regierende AKP ist die stärkste politische Kraft im Land und dürfte das auch bleiben. Umfragen sehen die AKP bei 40 bis 45 Prozent, weit vor der säkularistischen CHP, die zwischen 25 bis 18 Prozent liegt, und der Nationalistenpartei MHP, die auf 15 Prozent kommt.

(AFP)
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