Sieg für "Ja"-Lager in der Türkei Wie deutsche Politiker auf das Referendum reagieren

Berlin · Mit einer denkbar knappen Mehrheit haben die Türken der geplanten Verfassungsreform ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zugestimmt. Deutsche Politiker reagierten enttäuscht, auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Stimmenauszählung wurden laut.

Jubel und Trauer nach Türkei-Referendum in Deutschland
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Jubel und Trauer nach Türkei-Referendum in Deutschland

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Foto: dpa, pdz lof

Die Reaktionen der deutschen Politik sind nahezu einhellig: Das knappe "Ja" beim Referendum über die geplanten Verfassungsänderungen in der Türkei löste Enttäuschung, der Ablauf der Wahl auch Kritik und Ärger aus. Wohlwollende Worte gab es hingegen für den starken Widerstand gegen die Pläne von Präsident Erdogan. Mehr als 48 Prozent der türkischen Wähler stimmte gegen das geplante Präsidialsystem.

So meldete sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz auf Twitter zu Wort: "Der knappe Ausgang des Referendums zeigt: Erdogan ist nicht die Türkei." Schulz forderte daher: "Einsatz für Demokratie und Menschenrechte muss weitergehen."

Seine SPD-Parteikollegin und Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Michelle Müntefering, bezeichnete das Ergebnis jedoch als "fundamentalen Einschnitt" in der Geschichte des Landes. Europa dürfe nun nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse eine klare Linie im Umgang mit der Türkei finden, schrieb die SPD-Politikerin am Sonntagabend auf Facebook.

Auch aus der Union waren am Abend zunächst ausschließlich kritische Stimmen zu hören. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, sieht das Land in einer schweren Krise. "Unabhängig vom endgültigen Ergebnis: Präsident Erdogan hat mit seinem Referendum eine gespaltene Nation hinterlassen. Wir sehen die Entwicklung mit großer Sorge", sagte der stellvertretende CSU-Parteichef.

Julia Klöckner, die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, kritisierte das Wahlergebnis der in Deutschland lebenden Türkei. Hier hatten knapp 63 Prozent aller Wähler mit "Ja" für eine Verfassungsänderung gestimmt. "Türken, die in Deutschland für Ja gestimmt haben, aber das theoretische Nein hier genießen....", twitterte die Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz und kündigte an: "Es wird Auswirkungen auf unser Verhältnis zur Türkei haben." In einem Gastbeitrag für die Huffington Post forderte sie außerdem: "Die Tür zu einem EU-Beitritt ist nun endgültig zu. Und finanzielle Heranführungshilfen an die EU sind spätestens jetzt hinfällig."

Entsetzen auch bei den Oppositionsparteien auf Bundesebene. Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth fordert einen entschiedenen Richtungswechsel im deutsch-türkischen Verhältnis. "Unsere Beziehungen zur Türkei brauchen nun eine grundlegende Neuvermessung", sagte die Grünen-Politikerin. Wenn sich das "Ja" zu einem Präsidialsystem mit deutlich mehr Macht für Erdogan bestätige, dann sei das eine "traurige Niederlage" für die demokratische Türkei, ein "schwerer Rückschlag für die Demokratie weltweit" und ein "schwarzer Tag" für die EU.

Verfassungsreferendum in der Türkei: Erdogan hat seine Stimme abgegeben
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Referendum: Erdogan hat seine Stimme abgegeben

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Foto: ap, PG YK

Roths Parteikollege und Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu beklagte "absolut unfaire und ungerechte Bedingungen". Auf der einen Seite habe Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan "mit der gesamten Maschinerie des Staates und der Unterstützung nahezu aller Medien" gestanden, auf der anderen die Opposition, die "staatlichen Repressalien ausgesetzt (war) und eingeschüchtert" wurde.

Das Abstimmungsergebnis komme einer "Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung gleich", sagte Mutlu weiter. "Damit hat sich die Türkei völlig vom Westkurs verabschiedet." Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kündigte beim TV-Sender Phoenix an, die deutsch-türkischen Beziehungen neu bewerten zu wollen. "Ein 'Weiter so' kann es jedenfalls nicht geben", so Özdemir.

Hier stimmen Türken über das Erdogan Referendum ab
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Türken stimmen über das Referendum ab

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Foto: Adrianne de Koning

Ähnlich wie Roth forderte auch Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Türkei-Politik. "Eine Politik des "Weiter so" von Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel wäre verheerend", sagte Wagenknecht. "Der heutige Tag ist eine Zäsur für die Türkei", sagte Wagenknecht und machte Erdogan schwere Vorwürfe: "Durch Manipulationen ist es dem türkischen Präsidenten Erdogan gelungen, eine Mehrheit für eine Diktatur zu erreichen."

Sie forderte einen sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, den Abzug der in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten und den Stopp aller Waffenlieferungen in die Türkei. Zudem dürfe die Zollunion zwischen der Europäischen Union und der Türkei nicht erweitert werden.

(cbo, dpa)
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