Nach der Kritik an den Kölner Brandermittlungen Türkei — der misstrauische Freund

Düsseldorf · In den deutsch-türkischen Beziehungen gibt es wieder einmal große Irritationen. Auslöser sind deutsche Fehler und türkische Überreaktionen rund um einen Mordprozess und zwei Brandunglücke. Eine Analyse.

Zwei Tote bei Brand in Kölner Mehrfamilienhaus
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Die deutsch-türkischen Beziehungen reichen zurück bis ins 11. Jahrhundert. Sie tragen Züge sowohl guter Freundschaft als auch tiefen Misstrauens; sie spiegeln historisch betrachtet das normale Mit- und Gegeneinander zweier Völker. Zur politischen Realität gehört: Nationale Interessen und Eigenarten sind stärker als wiederkehrende Festtags-Rührseligkeiten mit TV-tauglichem Austausch routinierter Freundlichkeiten in Berlin und Ankara. Rudolf Augsteins Befund kommt in den Sinn: "Die Türkei wurzelt nicht im abendländischen Kulturgarten."

Aktuell werden die Beziehungen zwar nicht auf die Probe gestellt, aber es sind rund um den Münchner Strafprozess gegen mörderische Rechtsextremisten große Irritationen im Spiel. Ausgelöst wurden sie von einer stümperhaften deutschen Aufklärung der zehn Morde aus rassistischen Motiven sowie durch einen wenig umsichtigen Senat des Oberlandesgerichts, der in seinen Prozess vorbereitenden Verfügungen wie ein Provinzgericht in Hintertupfingen die internationale Dimension des Verfahrens ausgeblendet hat.

Polenz: Die Kirche im Dorf lassen

Das war unser Beitrag zu den deutsch-türkischen Verwirrungen. Die türkische Seite nimmt ihn zum Anlass, ihrerseits Deutschland des latenten Rassismus' zu verdächtigen oder — diplomatisch geglättet — Deutschland den Weg zur Rechtsstaatlichkeit zu weisen. Das wiederum bringt sogar einen Spitzenpolitiker wie Ruprecht Polenz (CDU) aus der Fassung, der sich einen Freund der Türkei nennt und den man ob seiner ausgleichenden Art als einen wandelnden Vermittlungsausschuss bezeichnen könnte.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages sagte am Dienstag unserer Redaktion, Ankara sei gut beraten, die Kirche im Dorf zu lassen und nicht weiter Misstrauen zu säen, als ob es bei dem am 17. April beginnenden Strafprozess nicht mit rechtsstaatlichen Dingen zugehen werde. Für solche Vermutungen, so Polenz, gebe es keinen vernünftigen Grund.

Polenz wäre nicht der differenziert denkende Außenpolitiker, wenn er nicht auch Verständnis für türkische Sorgen um die Sicherheit der Landsleute in Deutschland empfände: Viele Türken hätten Verwandte in Deutschland, deshalb erwarteten sie von ihrer Regierung, solch ein Strafverfahren wegen rassistischer Morde an allein acht türkischstämmigen Menschen kritisch zu begleiten.

Polenz sagte aber auch dies: Die Türkei habe keine Veranlassung, politisch abzuheben und den Rechtsstaat Deutschland in Zweifel zu ziehen. In dem Zusammenhang verwies er auf den Fortschrittsbericht der EU-Kommission zu den Reformanstrengungen des EU-Beitrittskandidaten Türkei. In dem 2012 veröffentlichten Bericht steht die Türkei nicht als ein Paradies der Rechtsstaatlichkeit da. Manche sprachen von einem "Rückschrittsbericht". Ein türkischer Minister wiederum bezeichnete die Einschätzung als enttäuschend und anmaßend.

Menschenrechtslage von der EU kritisiert

Die EU kritisiert weiterhin mangelhafte Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte in der Türkei. Die benachteiligte christliche Minderheit in dem muslimisch dominierten Land weiß, was mit "mangelhafte Achtung" gemeint ist. Zwar erkennt die laizistisch organisierte Türkei die Religionsfreiheit des Einzelnen an, nicht jedoch die christliche Religionsgemeinschaft als Trägerin von Rechten. Auch ist das im Grundgesetz verankerte Verständnis der Grundrechte als einklagbare Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat nicht so mit Leben gefüllt, wie man das von einer EU-Anwärternation erwarten muss.

Deshalb hinterlässt es zwischen Berlin und München einen Beigeschmack, wenn die kraftstrotzende euro-asiatische Wirtschaftsmacht diplomatisch den Muskelprotz gibt und das Gift des Zweifels an deutscher Rechtsstaatlichkeit träufelt. Faruk Sen, bis 2008 Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, ist so jemand. Einst verglich er die Lage türkischer Migranten in Deutschland mit derjenigen der Juden in der Nazi-Zeit.

Nun nimmt Sen die Brandkatastrophe von Backnang bei Stuttgart mit acht türkischen Opfern als Gelegenheit zum Unfrieden Stiften: "Das Feuer mag durch ein elektrisches Problem verursacht worden sein. Doch es gibt zwölf Fälle von Brandstiftung in derselben Gegend in den vergangenen Monaten." Ein türkisches Blatt zitiert Sen mit dem haarsträubenden Verdacht, geheime Elemente innerhalb des deutschen Staates unterstützten solche Angriffe.

Ein macht- und sendungsbewusster Premier

Auch der Kölner Hausbrand, der zwei nichttürkische Opfer forderte, diente türkischen Offiziellen dazu, Deutschlands Rechtsstaatlichkeit infrage zu stellen. Der ermittelnde Oberstaatsanwalt reagierte auf die Behauptung, Deutschland habe vorschnell einen rechtsextremistischen Hintergrund ausgeschlossen, im "Kölner Stadt-Anzeiger" erbost: Eine solche Erklärung habe die Ermittlungsbehörde nie verbreitet.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, sagte, er sei froh, dass sich deutsche Politiker Ratschlägen der Türkei, sich in die Arbeit der Justiz einzumischen, eindeutig widersetzten. Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter meinte ironisch, es sei typisch für nicht gefestigte Rechtsstaaten wie die Türkei, dass ihre politischen Repräsentanten glaubten, auf die Justiz Einfluss nehmen zu können.

Dem macht- und sendungsbewussten türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan ist das Einmischen in die Angelegenheiten anderer Länder von Zeit zu Zeit ein Bedürfnis. Auffallend ist seine wiederkehrende Attitüde, sich gern auch auf deutschem Boden türkischstämmigen Menschen als Landesvater vorzustellen. Kanzlerin Angela Merkel, die Charisma und Führungskraft Erdogans still bewundert, kontert solch robuste Diplomatie mit dem trockenen Hinweis an die Türken in Deutschland: "Ich bin auch Ihre Bundeskanzlerin."

(RP/das/sap/seeg)
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