Friedensdividende in Asien Südkorea spekuliert auf den „Aufbau Nord“

Seoul · Auf eine politische Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea könnte eine ökonomische folgen. Im Süden bereitet man sich darauf vor.

 Reiches Marktangebot in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Investoren setzen darauf, dass sich auch der Norden entwickeln lässt – sobald Frieden herrscht.

Reiches Marktangebot in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Investoren setzen darauf, dass sich auch der Norden entwickeln lässt – sobald Frieden herrscht.

Foto: AFP/ED JONES

Drüben auf der anderen Seite war Lee Gun-min noch nie. Er träumt auch nicht davon. Aber die Kennzahlen des verfeindeten Nordens hat der Südkoreaner parat. Der brave Mann mit rosafarbener Krawatte zählt auf: „Die Wirtschaftsleistung pro Kopf erreicht im Norden nur ein Zweiundzwanzigstel der im Süden. Unsere Handelsbilanz ist 144 Mal so hoch. Und bei uns gibt es fast 20 Mal so viele Handys. Aber dort oben leben immerhin halb so viele Menschen wie hier bei uns.“ Damit will er sagen: Sollten sich Nord- und Südkorea, die seit 69 Jahren im Kriegszustand sind, bald wieder vertragen, dann gäbe es plötzlich viel Raum für Geschäfte.

Vor einem guten Jahr schien eine Annäherung der zwei Koreas noch undenkbar. Heute, wo über der Halbinsel in Ostasien Tauwetter angebrochen ist, spricht man immer wieder davon. Da sind einerseits die reellen Fortschritte: Zuletzt gab es zwischen Nord und Süd wieder mehr Familienzusammenführungen und sogar Vereinbarungen gemeinsame Straßen zu bauen. Hinzu kommt die neue Rhetorik: Seit Januar bezeichnet Südkorea den Norden immerhin nicht mehr offiziell als Feind. Zudem will Südkoreas seit 2017 regierender Präsident Moon Jae-in noch in diesem Jahr Nordkoreas Kim Jong-un nach Seoul einladen.

„Darauf stelle ich mich jetzt ein“, sagt Lee, ein 40-jähriger Manager beim Vermögensverwalter BNK in Seoul. Lees Interesse am Norden entstand erst vor einem guten halben Jahr. In den bisherigen Jahren seiner Karriere richtete er seine Investitionsstrategie immer am Kospi aus, Südkoreas Aktienleitindex. Aber seit vergangenem Jahr glaubt er, man müsse woanders hinsehen. Nachdem während der Olympischen Winterspiele im Februar 2018 eine nordkoreanische Delegation ins südkoreanische Pyeongchang reiste, im April dann Nordkoreas Regierungschef Kim Jong-un den südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in empfing, sich dann im Juni auch noch erstmals Donald Trump und Kim Jong-un in die Arme fielen, dachte sich Lee Gun-min: „Mit Nordkorea könnte sich Geld verdienen lassen.“

Indirekt zumindest. Denn sobald ausreichend viele Menschen so denken wie er, macht Lee Gun-min auch dann schon ein gutes Geschäft, wenn sich auf diplomatischer Ebene noch nichts Substanzielles geändert hat. Mit dieser Eingebung begann der Finanzexperte im Frühjahr, ökonomische Daten zu recherchieren. Kurz vor dem US-Nordkorea-Gipfel im Juni in Singapur präsentierte BNK den seitdem von Lee Gun-min gemanagten „Wiedervereinigungsfonds Korea.“

Der Investitionsfonds soll aus den Hoffnungen der politischen Welt Bares machen. „Ich lege das Geld unserer Klienten in Aktien solcher Unternehmen an, die von einer ökonomischen Integration der Koreas besonders profitieren würden.“

Falls südkoreanische Unternehmen eines Tages in Nordkorea Geschäfte machen dürfen, wie die beiden Länder schon vorsichtig angedeutet haben, erwartet Lee Gun-min vor allem in den Bereichen Infrastruktur, Lebensmittel- und Pharmaindustrie satte Aufträge und Engagements. Betriebe aus solchen Branchen machen das Portfolio des Wiedervereinigungsfonds aus, in den Privatkunden und Finanzinstitute investieren können. Das Volumen liegt nur bei fünf Milliarden Won (vier Millionen Euro). Aber, wendet Lee ein: „Bisher betonen die Regierungen ja auch, dass vor einer weiteren Integration nukleare Abrüstung auf der nordkoreanischen und ein Abzug des US-Militärs auf der südkoreanischen Seite erreicht werden müssen.“ Wenn diese – nicht niedrigen – Hürden erst genommen sind, soll auch mehr Geld bewegt werden.

Tatsächlich scharrt in Südkorea derzeit so ziemlich jede Branche mit den Hufen. Ein Start-up, das für Autos und Häuser intelligente Schlösser entwickelt, schielt genauso nach Norden wie ein Hersteller intelligenter Maßbänder, die mit digitalen Messungen das Schneidern effizienter machen. Wenn Banken erst die 25 Millionen Nordkoreaner mit Konten ausstatten, dann kann auch südkoreanische Technologie, die durch speziell Codes für jede Transaktion eine einmalige Kreditkartennummer generiert, Finanzbetrug in Nordkorea vorbeugen.

Diverse Jungbetriebe richten zwar nicht ihre Planung auf eine Wiedervereinigung aus, rechnen ihr Marktpotenzial aber durchaus auf 75 Millionen Koreaner, also die Bevölkerung der gesamten Halbinsel. Auf der Invest Korea Week Anfang November in Seoul verkündete ein Offizieller des Wirtschaftsministeriums: „Die Integrationsverhandlungen laufen in eine gute Richtung. Und es wird für Sie alle Geschäfte geben.“ Ein Vertreter des Vereinigungsministeriums erklärte dort, Handel mit Nordkorea könnte ein neuer Wachstumsmotor für Südkorea werden.

Zu den Gründern, die am Rande der Invest Korea Week ihre Geschäftsideen vorstellten, gehört Dylan Coo mit seinem Start-up BA Energy. Coo, ein jungdynamischer Typ mit beigem Anzug und runder Brille, will mit wärmespeichernden Wänden nicht nur die Energieeffizienz von Häusern erhöhen, sondern diese selbst zu Energiequellen machen. „Was, wenn dein Haus ein Kraftwerk ist?“, fragt er mit begeisterter Miene. „Technisch ist das möglich.“

Neben der EU, die wegen ihrer relativ ambitionierten Ziele bei der Energieeffizienz attraktiv ist, will BA Energy vor allem nach Nordkorea. „Dort könnte man ja teilweise ganz neu bauen. Das wären ganz andere Möglichkeiten“, sagt Dylan Coo. „Ich hoffe, dass wir mit dem südkoreanischen Wirtschaftsministerium zusammenarbeiten können, damit wir das Wohnen im Norden verbessern.“ Schließlich, glaubt Dylan, wären südkoreanische Betriebe für so einen „Aufbau Nord“ prädestiniert. Trotz allem sei man sich sprachlich und kulturell doch sehr nah.

Mit ähnlichem Kalkül sicherte sich die Hyundai-Familie, die von Schiffen bis Autos alles Mögliche baut und zu den größten Industriekonglomeraten Südkoreas gehört, schon um die Jahrtausendwende Privilegien für den Markteintritt im Norden. Hyundai-Gründer Chung Ju-yung, ein gebürtiger Nordkoreaner, machte sich zeitlebens für die Integration der zwei Koreas stark. Seine Nachfolger in den Hyundai-Betrieben verstehen sich nun als Südkoreas Pforte für den Eintritt in den nordkoreanischen Markt.

So lässt sich auch erahnen, wer im Portfolio des Wiedervereinigungsfonds einen besonders gewichtigen Platz hat. „Wir haben Papiere von Hyundai Motor, Hyundai Elevator und weiteren“, sagt Lee Gun-min. Auch deshalb erwartet Lee, dass der Fonds langfristig fünf Prozentpunkte mehr abwerfen wird als der Leitindex Kospi. Damit dauerhaft Investoren auf die Idee des Fonds vertrauen, muss sich zwischen den beiden Koreas allerdings irgendwann etwas Substanzielles tun. Versuche um die Jahrtausendwende, als Südkoreas Präsident Kim Dae-jung im Geiste Willy Brandts mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ ein Appeasement mit dem Nachbarstaat suchte, wurden von späteren Regierungen auf beiden Seiten der Grenze wieder zurückgeschraubt.

Die Desillusionierten in Südkorea, die trotz der historischen Gipfeltreffen unbeeindruckt bleiben, haben freilich gute Gründe zur Skepsis. Im Moment läuft nicht einmal der Industriekomplex Kaesong im Süden Nordkoreas, wo jahrelang rund 200 südkoreanische Betriebe mit nordkoreanischen Arbeitskräften Produkte herstellten. Auf das Kooperationskonzept, das Nordkorea Geld brachte und Südkorea billige Arbeitskräfte, sollten eigentlich weitere folgen. Aber derzeit wird bei allen vagen Ankündigungen einer Wiederinbetriebnahme immerzu betont, man sei noch nicht so weit.

Erhofft man sich nicht zu viel, wenn man hinter diesen Vorzeichen schon ökonomische Integration wittert, einen neuen Wachstumsmotor für den Süden und gute Geschäfte für alle? „Möglich“, sagt Lee Gun-min in seinem Büro. „Aber wir müssen bereit sein, bevor sich die südkoreanischen Betriebe die Aufträge abnehmen lassen.“ Lee dürfte wissen, dass dies vereinzelt bereits geschieht. Während die internationale Gemeinschaft unter den UN-Sanktionen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Nordkorea auf Eis gelegt hat, investieren russische und chinesische Betriebe dort trotzdem. Auch deshalb drängen Wirtschaft und Regierung in Südkorea auf eine möglichst schnelle Annäherung mit dem Norden.

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