Osteuropa Transnistriens Trennung

Bender · Um den Ministaat von Russlands Gnaden kam es 1992 zu kurzen, aber heftigen Kämpfen. In der Stadt Bender sind ihre Spuren bis heute zu sehen.

Die Eisenbahnbrücke, die über den Fluß Djnestr hinüber zur transnistrischen Stadt Bender führt, ist in den russischen Nationalfarben und den Farben der früheren Sowjetrepublik Moldawien angemalt.

Die Eisenbahnbrücke, die über den Fluß Djnestr hinüber zur transnistrischen Stadt Bender führt, ist in den russischen Nationalfarben und den Farben der früheren Sowjetrepublik Moldawien angemalt.

Foto: Marlon Roseberry Bünck

Das Bahnhofsviertel im Westen von Bender ist gesäumt von typischen Plattenbauten der 60er Jahre. Ein Monument am Bahnhof erinnert an den Zweiten Weltkrieg, der staubige Platz vor dem Hauptgebäude ist in der Sommersonne menschenleer. Die Verbindungen der transnistrischen Eisenbahn sind überschaubar. Mit fast 100.000 Einwohnern gehört Bender zu den größten Städten des international nicht anerkannten Ministaats Transnistrien mit seinen 470.000 Bewohnern und weist die Besonderheit auf, dass es auf der westlichen Seite des Grenzflusses Djnestr liegt, der Transnistrien seit 1992 faktisch von der Republik Moldau trennt.

In den Zerfallswirren der Sowjetunion trennte sich die Region von der moldauischen Sowjetrepublik, und es kam 1992 zu einem kurzen Krieg, was zu einer dauerhaften Präsenz russischer Truppen geführt hat. Die schwersten Kämpfe fanden damals zwischen den Städten Bender und Tiraspol statt. Eine große Brücke unweit des Bahnhofes führt über den Djnestr, Panzer aus Transnistrien drängten hier die moldauischen Einheiten zurück. Vorausgegangen war ein blutiger Häuserkampf, der einen Großteil der Bewohner zur Flucht zwang. Während des Krieges fand das Leben im Bahnhofsviertel in den Kellern statt.

Erinnerungen an diese Zeit sind heute nur noch auf den zweiten Blick zu sehen. Auf den ersten Blick wirkt das Viertel mit seiner älteren Bevölkerung, leeren Straßen und den vielen Fahrzeugen sowjetischer Bauart wie die typische osteuropäische Provinz. Doch lassen sich an den Fassaden vieler Gebäude noch immer die Spuren von Granatsplittern und Gewehrsalven erkennen.

Am Straßenrand finden sich Gräber gefallener Soldaten, darunter transnistrische Freiwillige, ehemalige sowjetische Soldaten oder auch ukrainische Freiwillige, die damals aus dem Nachbarland nach Bender kamen. Ein Grab auf dem offenbar erst kürzlich Blumen abgelegt wurden, trägt auf einem kleinen angebrachten Schild an der Hauswand den Namen Juri Georgiewitsch Titanka. Er wird als Angehöriger einer Kosaken-Einheit bezeichnet. Er kam am 20. Juni 1992 im Bahnhofsviertel ums Leben.

Inmitten der hochgeschossigen Plattenbauten, die von dichter Vegetation umgeben sind, stehen viele kleine, ältere Holzhäuser. Svetlana bewohnt eines von ihnen, führt über ihr kleines Grundstück und setzt sich neben ihr Gartenhaus. „Ich habe den Krieg nicht kommen sehen. Der Zerfall der Sowjetunion war mir nicht sofort klar. Vor dem Krieg habe ich 35 Jahre in der örtlichen Druckerei gearbeitet, das Leben war gut. Transnistrien war vielfältig, von überall aus der Sowjetunion waren Leute hier.“

Viel hat Svetlana über den Krieg vor ihrer Haustür nie gesprochen. „Bei den Demonstrationen vor Kriegsbeginn habe ich Transnistrien unterstützt, weil es der Ort war, an dem ich gelebt habe, der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Alle meine Freunde und Verwandten unterstützten Transnistrien, weil niemand von uns einen Krieg wollte. Wir haben auch nicht ganz verstanden, was es war, dass die neuen Machthaber in Moldau mit Rumänien zu tun hatten. Ich wusste wenig darüber. Dieser Krieg kam für alle hier sehr plötzlich.“

Im Nachbarland der Ukraine haben sich seit 2014 ähnliche Ereignisse abgespielt wie einst in Transnistrien. Teile der Ostukraine wurden von Separatisten besetzt, die dort eigene Staaten ausgerufen haben, die niemand anerkennt. „Ja, diese Ereignisse, die sich jetzt in der Ukraine ereignen, erinnern mich an unsere Zeit“, sagt Svetlana. „Aber der Krieg in Transnistrien endete schneller. Plötzlich waren wir Transnistrier, auf uns allein gestellt und wir wussten, dass es so bleiben würde. Für mich ist Transnistrien Teil Russlands; ich bekomme eine russische Rente und habe die russische Staatsbürgerschaft.“

Der Konflikt spitze sich ab Juni 1992 zu. Als die Kämpfe in Bender eskalierten, intervenierte die 14. Armee, ein noch in der moldauischen Sowjetrepublik stationierter Teil der Roten Armee, der nun unter russischem Kommando stand. Das Eingreifen wird als entscheidend für den Ausgang der Kämpfe angesehen, in dessen Folge sich die moldauischen Kräfte zurückziehen mussten. Zur Erinnerung hat die Stadtverwaltung von Bender neue Schautafeln aufgestellt. Sie zeigen ausgebrannte Panzer, zerstörte Häuser und flüchtende Menschen. Die Erinnerung an den Krieg dient in Transnistrien als Stütze zur Legitimierung der eigenen Staatlichkeit.

Während damals viele der Bewohner flüchteten, entschieden sich wenige zu bleiben. Die 78-jährige Ljudmila arbeitete am Bahnhof und erinnert sich noch gut daran, wie der Krieg ihr Stadtviertel und Leben veränderte. „Ich lebe seit mehr als 50 Jahren hier. Ich bin in der Ukraine geboren und kam 1959 nach Bender. In den 1990er Jahren wurde das Leben immer schlechter. Ich arbeitete bei der Eisenbahn. Zu Kriegsbeginn ging ich mit meinen Freunden und Kollegen nach Hause. Es war 16:45 Uhr. Plötzlich hörte ich, wie das Schießen begann. Männer aus Russland, Tiraspol und Odessa kamen, und schlossen sich den Einheiten vor Ort an. Sie positionierten sich auch im ersten Stock meines Hauses. Damals war mein Sohn neun Jahre alt. Als es wieder ruhig war, rannte er nach draußen, um die Patronenhülsen einzusammeln.“

Über Tage harrten die Bewohner aus und mussten sich selbst versorgen. In den Straßen rollten die Panzer. „Viele Menschen verließen die Stadt 1992, auch meine Nachbarn. Ich bin nicht gegangen, weil ich Angst hatte, dass meine Wohnung ausgeraubt wird. Plünderer marschierten durch die Straßen. In meiner Wohnung wurden der Balkon und der Spiegel neben meinem Bett durchgeschossen. Mein Sohn und ich hatten das Glück, in diesem Moment nicht zu Hause zu sein. Moldau und wir leben nun seit 26 Jahren getrennt. Sie versuchen, unsere Staaten wieder zu vereinen, aber ich glaube nicht, dass sie es schaffen.“

„Ich habe das nicht kommen sehen“: Svetlana hat den Krieg erlebt.

„Ich habe das nicht kommen sehen“: Svetlana hat den Krieg erlebt.

Foto: Marlon Roseberry Bünck

Da dürfte Svetlana recht haben. Moskau lässt bis heute keinen Zweifel daran aufkommen, dass am aktuellen Status’ Transnistriens nicht zu rütteln ist. In Bender ist der übermächtige russische Einfluss schon bei der Ankunft spürbar und auch sichtbar: Die Eisenbahnbrücke über den ist in russischen und transnistrischen Farben, den Farben der alten moldawischen Sowjetflagge, bemalt. Und der erste Checkpoint der Stadt ist mit russischen Soldaten und ihren Panzern besetzt.

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