Trauer um Madeleine Albright Eine Interventionistin der Menschlichkeit

Washington · Madeleine K. Albright trug als erste Amerikanerin den Titel „Madam Secretary“. Als Außenministerin Bill Clintons stand sie im Ruf, robust für Demokratie und Menschenrechte einzutreten. Sie starb am Mittwoch im Alter von 84 Jahren.

 Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright im September 1998 in Washington (Archivfoto).

Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright im September 1998 in Washington (Archivfoto).

Foto: AFP/WILLIAM PHILPOTT

Die kleine Frau mit dem resoluten Blick und den auffälligen Broschen am Revers hat nie Zweifel daran gelassen, auf welcher Seite sie steht. Von Osteuropa über den Balkan bis hin nach Haiti fand sich Madeleine Albright immer unter den entschiedenen Verteidigern von Menschenrechten, Selbstbestimmung und Demokratie. „Wenn es darum ging, Menschen vor Diktatoren oder Genozid zu schützen, war sie das Gewissen der Regierung Bill Clintons“, sagt Ivo Daalder, der damals als Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats mit der Außenministerin zusammenarbeitete.

 Die moralische Autorität von „Madam Secretary“, die als Kind mit Ihren Eltern erst vor den Nazis und später dann noch einmal vor den Kommunisten aus ihrer tschechischen Heimat geflohen war, stand so außer Frage, dass der Senat sie 1997 mit 99 zu 0 Stimmen als erste Frau an der Spitze des Außenministeriums im Amt bestätigte.

 Das Trauma der Flucht ihrer jüdischen Familie, die später zum Katholizismus konvertierte, und die Ermordung von drei ihrer Großeltern in Theresienstadt und Auschwitz machte Albright zu einer Interventionistin der Menschlichkeit. In dieser Rolle profilierte sie sich zunächst als amerikanische Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Sie konnte es nicht ertragen, zuzusehen, wie die Serben während des Bosnien-Kriegs Muslime abschlachteten und Menschenrechte mit Füßen traten.

 „Wofür haben Sie das beste Militär, wenn Sie immer davon reden, wofür wir es nicht einsetzen können“, drängte Albright den damaligen Joint Chiefs of Staff, Colin Powell, seinen Widerstand gegen eine Bombardierung serbischer Positionen aufzugeben. Das geschah erst, nachdem die Serben die Schutzzone der Vereinten Nationen in Srebrenica überrannten und im Juni und Juli 1995 Völkermord an tausenden Zivilisten begingen.

 Die Luftangriffe zwangen die Serben an den Verhandlungstisch. Zwei Monate nach Beginn der Gespräche in Dayton schaffte es der damalige Sonderbeauftragte Richard Holbroke einen Friedensvertrag zu vermitteln. Hillary Clinton drängte ihren Mann nach seiner Wiederwahl 1996 dazu, Albright an die Spitze des State Departments zu schicken.

 Im Kosovo wiederholte sie, was sich vorher schon in Bosnien als Erfolgsrezept erwiesen hatte. Statt vor dem serbischen Diktator Slobodan Milosevic einzuknicken, drängte sie ein weiteres Mal auf Luftschläge. Time Magazin titelte damals mit respektvoller Bewunderung “Madeleine’s War”. Sie habe einmal mehr den richtigen Instinkt gehabt, sagt Daalder der Washington Post.

 Der Einwanderin aus Osteuropa brauchte niemand zu erklären, was damit gemeint war, wenn die Bewunderer der USA von einer „unentbehrlichen Nation“ sprachen. Bei allen eigenen Fehlern und Schwächen waren es in der Geschichte immer wieder die Vereinigten Staaten, die auf der Seite von Freiheit und Menschenrechten in internationale Konflikte stritten.

 Einen Tag vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine schrieb Albright in einem Meinungsbeitrag für die New York Times, Putin stünde davor, „einen historischen Fehler“ zu begehen. Er habe mit seiner „absurden Behauptung“ über die Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland Geschichtsklitterung betrieben, um einen Angriffskrieg zu rechtfertigen.

 „Eine Invasion der Ukraine wird zur Schande Putins sein Land diplomatisch isolieren, wirtschaftlich verkrüppeln und den Westen stärker zusammenrücken lassen“, prophezeite Albright. Putin zwinge sein Land in einen „blutigen und katastrophalen Krieg, der russische Ressourcen erschöpfen und Menschenleben kosten wird“. Europa bekomme einen „dringenden Anreiz“, sich aus der Abhängigkeit von russischer Energie zu befreien.

 Dass die unermüdliche Wegbereiterin der Nato-Osterweiterung zu Beginn eines Konflikts verstirbt, mit dem Putin die Uhr in Europa zurückdrehen will, beinhaltet einen Moment der Tragik. Die 1937 in Prag geborene Diplomatin belastete der russische Überfall der Ukraine dem Vernehmen nach persönlich sehr.

 Doch einmal mehr ließ Albright keinen Zweifel an ihrer Haltung. „Die Ukraine hat das Recht auf Selbstbestimmung, egal wer seine Nachbarn sind“, schrieb Albright. Putin müsse begreifen, dass er einen „zweiten Kalten Krieg“ nicht gewinnen kann; „selbst nicht mit Atomwaffen.“

 Bei aller Entschlossenheit, Demokratien zu verteidigen, zählte Albright nicht zu den Falken in Washington, die reflexhaft mit den Säbeln rasseln. Während sie die Befreiung Kuwaits im ersten Golfkrieg unterstützte, gehörte Albright zu den entschiedenen Gegnern des von Präsident George W. Bush angezettelten Irak-Kriegs. Dieser gehe „als größtes Desaster amerikanischer Außenpolitik in die Geschichte ein.“

 Das unter anderen verband Albright übrigens mit dem ersten grünen Außenminister Deutschlands, Joschka Fischer. Die beiden pflegten ein enges persönliches Verhältnis, das bis weit in die Zeit nach dem politischen Ruhestand fortlebte. So arbeitete Fischer später für die Beratungsfirma Albrights, die selber wieder an ihren Lehrstuhl für Politologie an der renommierten Georgetown Universität zurückgekehrt war.

 Auch für die Gefahren im eigenen Land hatte Albright einen klaren Blick. Sie nannte Donald Trump „den undemokratischsten Präsidenten der modernen Geschichte der USA“. Dessen Bewunderung für Putin und andere Autokraten besorgte sie so sehr, dass sie ihr letztes Buch der Gefährdung der amerikanischen Demokratie widmete. In „Faschismus. Eine Warnung“, warnt sie vor der Zersetzung der freiheitlichen Ordnung. „Dagegen müssen wir etwas unternehmen.“  

 Die moralische Klarheit der ehemaligen Außenministerin gehört zu den Dingen, die auch Barack Obama bewunderte, als er Albright 2012 die höchste zivile Auszeichnung der USA, die Freiheitsmedaille verlieh.

 Ganz ähnlich äußerte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zum Tod einer Politikerin, die sie als streitbare Kämpferin, wahre Transatlantikerin und Vorreitern beschreibt. „Mit Haltung, Klarheit und Mut stand Madeleine Albright als erste US-Außenministerin ein für Freiheit und die Stärke von Demokratien“, twitterte Baerbock. „Auch ich stehe heute auf ihren Schultern“.

 Albright hinterlässt die drei Töchter Anne, Alice and Katie aus ihrer ersten Ehe mit Joseph Albright, den Erben eines Medienunternehmens. Die Scheidung nach 23 Ehejahren verschaffte ihr finanzielle und persönliche Unabhängigkeit, die sie vorher so nicht hatte. Das erlaubte Albright, ihre Karriere zu verfolgen, die sie über die Tätigkeit als Mitarbeiterin im Senat, in den Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses und dann an den Sitz der Vereinten Nationen führte.

 Leitstern blieb der ersten Außenministerin der USA stets die Erfahrung der eigenen Verfolgung. „Wir hätten alle tot sein können“, reflektierte sie einmal auf die bewegte Familiengeschichte. Sie habe sich in der Politik engagiert, „weil ich etwas dafür zurückgeben wollte, dass ich eine freie Person war.“

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