Pannenmeiler in Lüttich Belgien schaltet Reaktor Tihange 2 ab

Düsseldorf · Der Atomreaktor Tihange 2 bei Lüttich nahe der deutschen Grenze wird abgeschaltet. Bundesumweltministerin Lemke begrüßt das Aus des Pannenmeilers. Was das für die Atomkraft in Belgien bedeutet.

Atomkraft: Der Status der Meiler der Region und Deutschlands
14 Bilder

Der Status der Atomkraftwerke der Region und Deutschlands

14 Bilder
Foto: dpa/Armin Weigel

Belgiens umstrittenster Atomreaktor ist ab Mittwoch Geschichte: Dann hat der Betreiber Engie den zweiten Block im Kernkraftwerk Tihange nach genau 40 Jahren Laufzeit abgeschaltet. Deutsche Politiker und Atomkraftgegner sprechen von einem großen Erfolg. Sie kämpften jahrelang für das Aus des Reaktors rund 50 Kilometer von der deutschen Grenze. Die Stilllegung sorge „für deutlich mehr Sicherheit“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne).

Walter Schumacher vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie berichtet, in seinem Umfeld hätten einige bis zuletzt nicht an die Abschaltung geglaubt. Der pensionierte Mathematiker engagiert sich seit Jahren für das Ende des „Riss-Reaktors“ bei Lüttich, wie er bei Atomkraftgegnern heißt. Im Reaktordruckbehälter hatten Experten bereits im Jahr 2012 tausende haarfeine Risse entdeckt.

Schumacher und die anderen Aachener Aktivisten fürchteten nach seinen Worten, der Meiler Tihange 2 könne „bersten“ und dann eine radioaktive Wolke nach Westen ziehen, „die Aachen vernichtet“. Gefahr drohte auch von einem belgischen Reaktor gleicher Bauart bei Antwerpen. Dieser ging bereits Ende September endgültig vom Netz.

Wie man sich auf den Ernstfall vorbereitet
8 Bilder

Wie man sich auf den Ernstfall vorbereitet

8 Bilder
Foto: Christoph Reichwein

Mit der Abschaltung der beiden Pannenreaktoren geht nicht nur eine Ära der Angst, sondern auch mehr als ein Jahrzehnt juristischer Streitigkeiten zu Ende. Denn Belgien ließ die „Riss-Reaktoren“ zunächst weiterlaufen, ohne die Nachbarländer anzuhören und ohne die Umweltverträglichkeit zu prüfen - widerrechtlich, wie unter anderem der Europäische Gerichtshof urteilte. In Deutschland stieß dies auf Kritik bis hin zur Bundesregierung, auch in Luxemburg und den Niederlanden protestierten Atomkraftgegner.

Nicht nur Nordrhein-Westfalen wird durch das Aus für die Pannenmeiler sicherer, wie Landes-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) betont. Einen Wermutstropfen sieht der Grünen-Politiker allerdings. Denn eigentlich wollte Belgien 2025 ganz aus der Kernkraft aussteigen und damit dem deutschen Beispiel folgen. Das sah ein bereits 2003 beschlossenes Ausstiegs-Gesetz vor.

Doch der Ukraine-Krieg und die Energiekrise haben auch im Nachbarland zu einer Zeitenwende geführt. Horrende Gas- und Stromrechnungen sowie die Furcht vor flächendeckenden Stromausfällen veranlassten die Regierung von Ministerpräsident Alexander De Croo, die Notbremse zu ziehen.

In Belgien regiert eine „Ampel plus“ aus Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten sowie flämischen Christdemokraten, dort wurde die Atomdebatte zeitweise noch erregter geführt als in Deutschland. Zu Jahresbeginn folgte dann die Grundsatzeinigung: Die Brüsseler Regierung verabredete mit dem Atompark-Betreiber Engie, die beiden jüngsten Reaktoren zehn Jahre länger laufen zu lassen, also bis 2035. Bei ihrer Abschaltung dürften sie dann 50 Jahre auf dem Buckel haben.

Zuletzt deckten die belgischen Kernkraftwerke rund die Hälfte des nationalen Strombedarfs. Die Abschaltungen sind auch umstritten, da zunächst fossiles Gas die Lücke schließen soll. Das ist klimaschädlich, während Atomenergie aus Sicht der Befürworter „sauber“ ist. Zudem hat das hoch verschuldete Belgien deutlich weniger Spielraum als etwa Deutschland, teures Gas auf dem Weltmarkt zu kaufen.

In Aachen sorgt das Reaktor-Aus zwei Wochen vor Karneval dennoch für gute Laune. Karnevalesk klingt auch das Motto der Feiern, die Atomkraftgegner in der Domstadt angekündigt haben. Es lautet: „Tihange zwei: aus und vorbei.“

(akir/AFP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort