Entwicklungsminister Niebel in Pakistan Tacheles in Islamabad

Islamabad/Faisalabad (RP). Als FDP-Generalsekretär wäre Dirk Niebel niemals auf den Gedanken gekommen, massiv für Steuererhöhungen zu werben. Als Entwicklungsminister tut er es nun täglich – bei seiner Reise durch Pakistan.

 Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel besucht Afghanistan.

Der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel besucht Afghanistan.

Foto: dapd

Islamabad/Faisalabad (RP). Als FDP-Generalsekretär wäre Dirk Niebel niemals auf den Gedanken gekommen, massiv für Steuererhöhungen zu werben. Als Entwicklungsminister tut er es nun täglich — bei seiner Reise durch Pakistan.

Die gewundene Höflichkeit diplomatischer Floskeln war noch nie sein Ding. Und so lässt es der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lieber gleich. Mag ihm seine Dolmetscherin hinterher auch wieder eine lange Liste von Korrekturvorschlägen vorlesen, an welchen Stellen des Gespräches er sich gewählter hätte ausdrücken können. Der Mann liebte schon als FDP-Generalsekretär den politischen Frontalangriff. Und nach dem Muster diktiert er es den pakistanischen Journalisten in klarem Englisch in die Notizblöcke.

"This ist not enough", das reiche nicht aus, erklärt er zu dem heiß diskutierten Vorstoß der Regierung in Islamabad, die Zahl der Steuerpflichtigen im Land um fast 50 Prozent zu erhöhen. Und auch zu dem harten Schnitt, die Strompreise um 135 Prozent zu erhöhen, weiß Niebel nur eines: Ein "erster notwendiger Schritt" sei das — "but this is not enough".

Niebel, den es nicht schmerzt, sondern schmeichelt, wenn er gelegentlich als Rambo der Entwicklungspolitik bezeichnet wird, redet bei seinen Kontakten Klartext. Ob in der langen Unterhaltung mit dem Finanzminister, ob in Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten oder dem Staatspräsidenten, vor Unternehmern in Faisalabad oder eben vor den Medien in Islamabad. Ja, er habe zum 50. Geburtstag der deutsch-pakistanischen Entwicklungszusammenarbeit zwar die Absichtserklärung dabei, Pakistan in den nächsten Jahren mit 90 Millionen Euro zu unterstützen. Aber das sei - auf den Feldern, Bildung, Gesundheit, Energie und Sicherheit — wirklich nur Hilfe zur Selbsthilfe. Die eigentlichen Probleme müsse das Land schon selbst lösen.

Niebel fordert mehr von Pakistan

Es soll keine Drohung sein, aber wer die Untertöne interpretiert, der kann eine solche durchaus heraushören: Es sei dem deutschen Steuerzahler nun einmal schwer verständlich zu machen, dass er so viel Geld für die Verbesserung der Situation in Pakistan ausgeben soll, aber Pakistan selbst nicht mehr tut. Konkret: In dem 180-Millionen-Volk zahlen nur 1,5 Millionen Menschen Steuern. 700.000 mehr sollen es nach den heiß umstrittenen Regierungsplänen künftig sein. Dazu sagt Niebel: "not enough".

Sein mitreisender Duzfreund, EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs, assistiert an dieser Stelle: In Deutschland brächten die Steuerzahler über 40 Prozent für das Bruttosozialprodukt auf, in Pakistan seien es nur 9,2 Prozent. Künftig sollen es 9,6 Prozent sein. "Not enough", sagt Niebel. Und Piebalgs — mit Niebel inzwischen wie blind funktionierend auf einem politischen Tandem unterwegs — verweist darauf, dass Pakistan nur mit mehr Steuern ein Sozialsystem aufbauen könne. Mehr Steuern seien also nur zum eigenen Vorteil.

Natürlich weiß der erfahrene Wahlkämpfer Niebel, wie schwierig es ist, die Steuern zu erhöhen, und dazu noch die Strompreise — und damit dann vor die Wähler treten zu wollen. Und das in einer noch frischen Demokratie nach den Jahren der Militärherrschaft unter dem Eindruck einer sehr labilen Sicherheitslage. Doch auch 50 Jahre deutsche Investitionen in die pakistanische Infrastruktur haben eines der Kernprobleme des Landes nicht lösen können, wie Niebels Delegation in ihrem Hotel in Islamabad selbst andauernd erlebt: Stromausfälle gleich dutzendweise.

Ständig Stromausfälle

Zwischen sechs und neun Stunden täglich sind die Pakistani ohne Strom, behelfen sich internationale Hotels mit Generatoren, die nach wenigen Sekunden bis Minuten die Lichter wieder angehen lassen. "So kann kein Land erfolgreich indusrielle Produktion aufbauen", sagt Niebel seinen Gesprächspartnern. Nur wenn sich die Stromproduktion lohne, würden sich auch Investoren finden, die die Elektrizität modernisieren, und also müsse der Strompreis rauf. Und zwar massiv. So lautet die liberale Kurzanleitung in drei Sätzen. Fabrikanten in Faisalabad stöhnen zwar über die Aussicht auf horrend steigende Strompreise. Aber sie stöhnen noch mehr über die Kosten, die ihnen derzeit durch die Generatoren entstehen, mit denen sie die Produktion während der öffentlichen Blackouts so gut es geht weiter laufen lassen.

Es sind nicht Niebels einzige Lehrsätze. Ein paar Zahlen hat er bei allen Gesprächen dabei. 80 Prozent exportiere Deutschland in die Europäische Union, 20 Prozent in den Rest der Welt. Pakistan hingegen exportiere 20 Prozent in die eigene Nachbarregion, aber 80 Prozent in den Rest der Welt. "Sie sind zu sehr von der Weltwirtschaft abhängig, Sie brauchen ein stabiles und friedliches Umfeld, um selbst zu mehr Wohlstand zu kommen", wiederholt er bei fast jedem seiner Termine.

Da trifft es sich gut, dass die verfeindeten Nachbarn Pakistan und Indien endlich wieder über ihren Kaschmir-Konflikt verhandeln wollen. Niebel bringt das deutsch-deutsche Beispiel, betont die Möglichkeit zu menschlichen und wirtschaftlichen Beziehungen über die Systemgrenzen hinweg, die letztlich zur Einheit geführt hätten. "Denken Sie nicht an Systeme, machen Sie es einfach", lautet sein Appell. Ein Unternehmer in Faisalabad ist skeptisch. Kaschmir, die zwischen beiden Ländern umstrittene und umkämpfte Region, sei doch das Herz der Konflikte zwischen den beiden Atomwaffenstaaten.

Kashmir, Afghanistan und Indien - Lösungen müssen her

Die ständige Bedrohung rechtfertige doch erst die Milliardenausgaben für das Militär. Und zwar auf beiden Seiten. Doch der Minister bleibt dabei: Ohne Stabilität und Frieden in der Region, und zwar in und mit Indien, China und ganz besonders in und mit Afghanistan werde Pakistan seine Probleme nicht lösen können. Afghanistan ist eines der brisantesten Themen in den Gesprächen. Insbesondere in der pakistanischen Variante in Form der Stammesgebiete diesseits der afghanischen Grenze. Hier bekommt auch die pakistanische Armee kein Bein auf die Erde. Traditionell gilt das pakistanische Recht hier nicht.

Aber so oft US-Geheimdienste tödliche Drohnenangriffe gegen dort versteckte Taliban-Kämpfer fliegen, so oft sehen sich die Pakistani massiv in ihrer Souveränität verletzt. Pakistans Armeechef General Kayani verweist auf den gigantischen Blutzoll, den seine Soldaten im Kampf gegen die Terroristen zu erbringen haben. Monat für Monat betrauere Pakistan 60, 80, hundert und mehr Gefallene, also ein Vielfaches der Soldaten, die die Bundeswehr in zehn Jahren Afghanistan-Einsatz verloren habe. Doch er begrüßt auch, dass Deutschland sich entschlossen hat, über die Weltbank Programme in den Stammesgebieten zu finanzieren.

Er selbst denkt an ein aufwändiges Projekt. Er will eine alte Handelsroute durch das zerklüftete Bergmassiv zu einer regulären Straße ausbauen, um darüber die Region wirtschaftlich an Pakistan anzubinden und so langsam den Taliban den Nährboden der unzufriedenen Dorfbevölkerung zu entziehen. Wie prekär die Sicherheitslage in Pakistan wirklich ist, kann Niebel bei seinen Reisen durchs Land am eigenen Leib erfahren. Dutzende von Polizeibeamten sperren die Straßen und Kreuzungen ab, ein Begleitfahrzeug unterdrückt mit einem Jammer sämtliche Handystrahlen in der Nähe der Minister-Limousine, damit versteckte Bomben nicht ferngezündet werden können, Polizisten begleiten ihn mit schussbereiten Gewehren auf Schritt und Tritt. Denn Anschläge sind auch in Pakistan keine Seltenheit.

Die Regierung steht massiv unter Druck. Analysten sagen Pakistan bereits den Staatsbankrott voraus. Gut wenigstens dass die Amerikaner mit einer Milliardenhilfe an ihrer Seite stehen. Doch um die pakistanisch-amerikanischen Beziehungen steht es seit dem "2. Mai-Vorfall" nicht zum besten. Das war der Tag, an dem US-Spezialkräfte nördlich von Islamabad Osma bin Laden fassten und töteten. Seitdem ist aus dem latenten ein manifester Antiamerikanismus geworden, sind viele der 96 Prozent islamischen Bürger Pakistans überzeugt, der Kampf der USA gegen den terroristischen Islamismus gelte früher oder später auch ihnen.

Pakistan im Juni 2011 ist ein Land am Abgrund. Um so wichtiger sei es jetzt den richtigen Weg einzuschlagen, unterstreicht Niebel bei seinen Gesprächen. Er scheint Gehör zu finden. Denn dass er zusammen mit seinem EU-Kollegen sowohl vom Staatsoberhaupt als auch vom Regierungschef empfangen wird, sowohl vom Armeechef als auch vom Parlamentspräsidenten, sowohl vom Außen- als auch vom Finanzminister, das könnten normalerweise nur höchstrangige US-Delegationen erwarten. Niebel und Piebalgs nehmen es als Zeichen besonderer Wertschätzung. Und so hofft er darauf, dass die deutsch-pakistanischen Beziehungen 50 Jahre nach dem Start der Entwicklungszusammenarbeit in eine neue Dimension kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Ministerpräsident Yousaf Raza Gilani angeboten, zwischen Berlin und Islamabad in einen "strategischen Dialog" einzutreten. Die Zeichen stehen gut, dass Pakistan die ausgestreckte Hand ergreift.

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