Türkischer Ministerpräsident in Deutschland Syrien-Krise bestimmt Erdogans Besuch

Istanbul/Berlin · Bei ihrem Treffen am Mittwoch in Berlin sprechen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident vor allem über den Bürgerkrieg in Syrien. Dabei wird Erdogan den Flüchtlingsstrom und die wachsenden Probleme mit kurdischen Rebellen thematisieren.

Chronologie der Spannungen zwischen Syrien und der Türkei
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Foto: afp, BULENT KILIC

Der Konflikt in Syrien und das Kurdenproblem überschatten den an diesem Dienstag beginnenden zweitägigen Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin. Dort will er die neue türkische Botschaft — die größte Auslandsvertretung des Landes überhaupt — einweihen.

Für Mittwoch ist ein Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel angesetzt. Bei dem Besuch werden die beiden Regierungschefs wohl intensiv über die steigende Zahl syrischer Flüchtlinge sprechen. Gut 100.000 Syrer sind im Zuge des blutigen Konfliktes über die türkische Grenze geflüchtet. Türkischen Medienberichten zufolge könnte sich ihre Zahl in den nächsten Monaten sogar noch vervierfachen.

Unter diesem Eindruck rief der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz Erdogan dazu auf, sich von den Verbündeten unterstützen zu lassen. "Die Türkei sollte internationale Hilfe annehmen, um diese große Herausforderung bewältigen zu können", sagte Polenz. Der Bürgerkrieg in Syrien drohe auf die Türkei überzugreifen. Ankara habe sich hier besonnen gezeigt und solle "auch in Zukunft Alleingänge vermeiden", so Polenz.

Drohende Konfrontation mit Kurden

Kurz vor Erdogans Abreise aus Ankara erhielt der seit Monaten schwelende Konflikt eine weitere gefährliche Dimension: Zum ersten Mal lieferten sich syrisch-arabische Aufständische im Norden des Landes blutige Auseinandersetzungen mit syrischen Kurden — die Gefechte kosteten 30 Menschen das Leben. Die kurdische Rebellengruppe der PKK drohte daraufhin mit militärischen Gegenmaßnahmen.

Aus den Kämpfen zwischen Regimegegnern und syrischen Regierungstruppen haben sich die Kurden bislang weitgehend herausgehalten. Aber jetzt droht eine Konfrontation zwischen den Kurden und den vorwiegend arabischstämmigen, Rebelleneinheiten. Ein syrischer Oppositionsvertreter sprach von einer "äußerst gefährlichen Entwicklung".

Das Thema PKK hatte sich bereits vor Wochen als potenziell kontroverser Gesprächsbereich abgezeichnet. Erdogan bezichtigte Deutschland und Frankreich öffentlich, sie wollten eine Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei verhindern. Zur Untermauerung seines Vorwurfs verwies Erdogan darauf, dass die Kurdenrebellen weiter in beiden Ländern Geld eintreiben könnten. Klagen über einen zu nachsichtigen Umgang mit der PKK gehören seit Langem zur türkischen Kritik an den Europäern. Der Bürgerkrieg in Syrien hat die Bedrohung durch die PKK aus Sicht Ankaras aber noch einmal verstärkt.

Nach Einschätzung der türkischen Regierung und der syrischen Exil-Opposition versucht die PKK von ihrem Hauptquartier im Nordirak aus, ihre Präsenz im Norden Syriens auszubauen. Hauptinstrument ist dabei die Partei der Demokratischen Union (PYD), der syrische Ableger der PKK.

PKK hat offenbar Grenzposten eingenommen

Am vergangenen Freitag lieferten sich syrisch-arabische Aufständische und Trupps der PYD zum ersten Mal ernsthafte Feuergefechte. Dabei seien 30 Menschen getötet worden, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Die Araber nahmen demnach 120 Kurden gefangen, ließen sie inzwischen aber wieder frei.

Nach den Gefechten warnte der von der PKK dominierte kurdische Dachverband Union der Gemeinschaft Kurdistans (KCK) die syrischen Aufständischen davor, "im Vertrauen auf den türkischen Staat" gegen die Kurden in Syrien vorzugehen. Falls nötig, werde die KCK "militärische Unterstützung" leisten.

Ein noch stärkeres Eingreifen der PKK könnte eine neue, arabisch-kurdische Front im Bürgerkrieg entstehen lassen und mittelfristig auch die benachbarte Türkei in den Konflikt hineinziehen. Nach türkischen Medienberichten hat die PKK in Syrien einige Grenzposten von den Regierungstruppen von Baschar al Assad übernommen.

"Die PKK und ihre Schwesterorganisation PYD sind für das Regime und gegen die Revolution", sagte Bassam Imadi vom Oppositionsverband Syrischer Nationalrat in Istanbul. Die Gefechte in Aleppo bergen nach seinen Worten das Risiko einer Ablenkung vom eigentlichen Ziel — dem Sturz Assads.

Die Türkei werde wohl kaum untätig zusehen, wenn die PKK ihre Position in Nord-Syrien immer weiter ausbaue, sagte Imadi. Ankara befürchtet, dass die PKK die 900 Kilometer lange Landgrenze benutzen könnte, um Kämpfer für Anschläge und Überfälle in die Türkei zu schleusen. Vereinzelt soll das sogar bereits geschehen sein.

(may-)
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