Suezkanal Suez-Taumel und "Yes, we can" in Ägypten

Kairo · Man stelle sich vor, der Berliner Hauptstadtflughafen würde eröffnet, und die Deutschen feierten es wie den WM-Titel. In Ägypten wird die Erweiterung des Suezkanals als nationaler Befreiungsschlag inszeniert - trotzdem sind nicht alle in Partystimmung.

 Beste Laune bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Er hat die Eröffnung der Erweiterung des Suezkanals zu einem medialen Großereignis inszeniert.

Beste Laune bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi. Er hat die Eröffnung der Erweiterung des Suezkanals zu einem medialen Großereignis inszeniert.

Foto: dpa, sw

Bei diesem Mann scheint nichts unmöglich. Als Abdel Fattah al-Sisi mit zufrieden wirkender Gelassenheit den "Neuen Suezkanal" eröffnet, inszeniert sich der Präsident einmal mehr als Retter Ägyptens. Sein Sieben-Milliarden-Euro-Prestigeprojekt. Fertiggestellt in nur einem Jahr statt in geplanten drei. Der autoritäre Machthaber redet davon, dass Ägypten Geschichte geschrieben hat. Das Horn eines hinter ihm passierenden Containerschiffes übertönt alles. Al-Sisi setzt sein schon fast jungenhaftes Lächeln auf.

Nicht nur der Ex-General ist am Donnerstag geradezu im Glücksrausch: Man stelle sich vor, der Berliner Hauptstadtflughafen würde eröffnet, und die Deutschen feierten es mit Autokorsos wie den Titel der Fußball-Weltmeisterschaft. Auf dem weltbekannten Kairoer Tahrir-Platz - 2011 Zentrum der arabischen Aufstände - dominieren die Nationalfarben rot, weiß und schwarz neben Bildern des Präsidenten. Eine Verkäuferin meint: "Wir sind heute alle sehr glücklich." Es ist einer der wenigen freudigen Tage in einem Land, das seit Jahren wenig zu lachen hat.

 Auch eine Fliegerstaffel war bei der Veranstaltung zugegen - und viel Militär und Sicherheitskräfte.

Auch eine Fliegerstaffel war bei der Veranstaltung zugegen - und viel Militär und Sicherheitskräfte.

Foto: dpa, moa

Und die staatliche PR-Maschinerie tut ihr Bestes auf der Suche nach Superlativen. Der Chef der Suezkanal-Behörde vergleicht die erste geglückte Testfahrt mit dem "Voranschreiten des Landes von der Dunkelheit ins Licht". Die Hauptstadt Kairo ist an allen Ecken und Enden mit Lichtern und Fahnen geschmückt. Eine Videowand in der Innenstadt blendet von Sprüchen wie "Ägypten im Jubel" zum Motto von Barack Obama in seinem ersten Wahlkampf: "Yes, we can!"

Der Donnerstag wurde zum Nationalen Feiertag erklärt, die Benutzung der U-Bahn ist kostenlos. An den Wänden der Metro-Stationen prangt neuerdings ein Bild vom Kanal: Es zeigt auch den Kopf von Ex-Präsident Gamal Abdel Nasser, der sich 1952 an die Macht putschte, den Suezkanal verstaatlichte und noch heute wie eine Ikone verehrt wird. Daneben - natürlich - das Konterfei Al-Sisis.

Die Regierung setzt große Hoffnungen auf das Projekt: Mit den hohen Gebühren für die Schifffahrtsrinne zwischen Mittelmeer und Rotem Meer, die nun in zusätzlichen Abschnitten zweispurig befahren werden kann, will die Regierung mittelfristig die Einnahmen mehr als verdoppeln. Und Wachstumsimpulse für die marode Wirtschaft setzen.

Schifffahrtsexperte Hartmut Heckert zweifelt an den vollmundigen Prophezeiungen: "Das deckt sich nicht wirklich mit den Wachstumsprognosen der Schifffahrt", sagt er. Es sei fraglich, ob die um einige Stunden verkürzte Wartezeit vor dem Kanal diesen attraktiv genug mache, um wesentlich stärker zu wachsen als der Handel auf den Weltmeeren selbst. Stephan Roll, Fachmann für ägyptische Wirtschaft, bezeichnet die auf Megaprojekte fokussierte Politik der Regierung als "Propaganda". Inwieweit ein Konzept dahinter stehe, sei unklar. Ob der Suezkanal - die kürzeste Verbindung von Asien nach Europa - auch den Mittelstand durch sogenannte Sickereffekte beleben könne, sei zweifelhaft.

Während das Land feiert, bleiben einige Ägypter lieber zu Hause. Viele von ihnen sind jung, medienaffin und glauben der Regierung längst nicht mehr alles, was sie im Fernsehen verlautbaren lässt. Andere sind Anhänger der mittlerweile verbotenen islamistischen Muslimbrüder, deren Staatspräsident Mohammed Mursi 2013 gestürzt wurde.

Mitglieder der Bruderschaft, die moderate bis radikale Strömungen umfasst, werden in Ägypten als Terroristen verfolgt. Muslimbrüder-Sympathisant und Journalist Wael Kandil verspottet die Überhöhung des sogenannten "Neuen Suezkanal": "Bald werden sie einen Graben ausheben und es den "Neuen Nil" nennen", meint er.

Das alles ist den meisten Ägyptern an diesem Tag ziemlich egal. Das Land und seine Bewohner - wirtschaftlich gebeutelt, von Terroranschlägen heimgesucht, vieler Freiheitsrechte beraubt - leben jeden Tag mit neuen schlechten Nachrichten.

Die Erweiterung des Suezkanals wird die globale Schifffahrt zwar nicht verändern und vielleicht auch nicht alle erhofften Milliarden einfahren. Trotzdem könnte sich das Megaprojekt lohnen: Für die Zuversicht und Moral der Ägypter. Und den Mann mit dem Grinsen.

(dpa)
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