Auch Swift-Sanktionen gegen Russland Deutsche Waffen für Ukraine - Berlin vollzieht dramatische Kehrtwende
Analyse | Berlin · Der internationale Druck und der Kampf der Ukrainer gegen die russische Invasion zeigen Wirkung. Kanzler Scholz und die Ampel vollziehen eine dramatische Kehrtwende: Berlin liefert Waffen an die Ukraine und trägt den Teil-Ausschluss Russlands aus dem weltweiten Swift-Zahlungsverkehr mit.
Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampel-Regierung vollziehen im Ukraine-Krieg einen dramatischen Kurswechsel: Nach stundenlangen Beratungen mit EU-Partnern und in der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gab Scholz am Samstag grünes Licht für Waffenlieferungen an die Ukraine und einen Teil-Ausschluss Russlands aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift. Scholz erklärte in Berlin: „Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung.“ In dieser Situation sei es Deutschlands Pflicht, „die Ukraine nach Kräften zu unterstützen bei der Verteidigung gegen die Invasionsarmee von Wladimir Putin.“
So wird die Bundeswehr schnellstmöglich zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ aus eigenen Beständen an die Ukraine liefern. Außerdem wird der Niederlande genehmigt, 400 ursprünglich aus Deutschland gelieferte Panzerfäuste an die Ukraine weiterzugeben. Ebenfalls erhält das bedrohte Land aus Estland neun Haubitzen aus früheren DDR-Beständen. Kiew bekommt des weiteren 14 gepanzerte Fahrzeuge: „Sie sollen an ukrainische Dienststellen übergeben werden“, hieß es. Zudem will Deutschland bis zu 10.000 Tonnen Treibstoff über Polen in die Ukraine liefern.
Am späten Sonntagabend brummten dann die nächsten Eilmeldungen auf den Handys: Russische Banken, die bereits von Sanktionen betroffen sind, werden aus Swift ausgeschlossen - es ist eine Entscheidung der US-Amerikaner und ihrer westlichen Verbündeten, ausdrücklich auch Deutschlands.
Wie wird Russland darauf reagieren? Präsident Wladimir Putin hatte beim Einmarsch in das Nachbarland westlichen Ländern mit Vergeltung gedroht, sollten sie sich in den Krieg einmischen. Der ukrainische Präside Wolodymyr Selenskyj zeigte sich erfreut über den Wandel in Berlin: „Weiter so, Kanzler Olaf Scholz“, schrieb er auf Twitter. „Die Anti-Kriegs-Koalition handelt!“ Scholz hatte Waffenlieferungen lange abgelehnt. Deutschland schicke aufgrund seiner Vergangenheit keine Waffen in Krisengebiete. 2014 gab es jedoch eine Ausnahme. Damals stattete die große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel kurdische Peschmerga-Milizen im Nordirak mit Milan-Panzerabwehrraketen und Sturmgewehren aus, um einen Völkermord an den Jesiden zu stoppen.
Im Ukraine-Konflikt waren Deutschland und der Kanzler international massiv unter Druck geraten. Nachdem die SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig am Freitagabend ein Bild von dem in den ukrainischen Nationalfarben Blau-Gelb angestrahlten Schweriner Landtag bei Twitter teilte, erwiderte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk: "Die Heuchelei ist zum Kotzen." Dann kündigten die Niederlande und Tschechien an, Kiew unter anderem mit Raketenwerfern, Maschinengewehren und Munition im Kampf gegen die russischen Angreifer zu unterstützen.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der am Samstag mit Scholz im Kanzleramt beriet, spottete über die deutsche Lieferung von 5000 Helmen nach Kiew: „Fünftausend Helme? Das muss ein Scherz sein.“ Polens Regierungschef forderte ebenfalls einen Swift-Ausschluss Moskaus. Im Energiebereich verlangte Morawiecki, nicht nur Nord Stream 2 (fertig gebaut, fließt aber kein Gas) zu stoppen, sondern auch Nord Stream 1 (ist in Betrieb). Das würde bedeuten, dass Deutschland sofort komplett auf russische Gasimporte verzichten müsste.
So kommt nicht nur mehr als die Hälfte der Gasimporte aus Russland, sondern auch etwa die Hälfte der Steinkohle, dazu Öl aus Sibirien. „Wenn wir diese Kohle nicht haben, werden die Kohlekraftwerke in Deutschland nicht weiterlaufen können“, hatte Baerbock am Freitag gesagt. Die Regierung suche unter Hochdruck nach Alternativen, könne aber die Fehler der Vergangenheit jetzt nicht heilen. Derzeit prüft das Wirtschaftsministerium etwa, mehr Steinkohle aus Kolumbien zu beziehen. Doch auf die Schnelle funktioniert das nicht.
In Regierungskreisen war die bisherige Zurückhaltung bei Swift so erklärt worden: Russland dürfte sich längst auf einen Swift-Boykott eingestellt haben. Man müsse auch sehen, dass Russland über eine technische Alternative zu Swift verfüge, die es zum Beispiel zusammen mit China aktivieren könnte: „Das Instrument wirkt daher in Russland kurzfristig stark, ist aber überwindbar.“
In der SPD geriet Scholz am Samstag ebenfalls in Erklärungsnot. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal sprach das aus, was auch an der Basis der Sozialdemokraten immer stärker Zustimmung findet. „Wir dürfen nun nicht davor zurückschrecken, alle Sanktionsmittel zu verhängen, die uns zur Verfügung stehen. Dazu gehört auch der Ausschluss Russlands aus Swift“, sagte die Nachfolgerin von Kevin Kühnert. Rosenthal ist erst seit knapp drei Monaten Bundestagsabgeordnete. Die Jusos stellen aber fast ein Viertel der SPD-Fraktion. Scholz muss diese Stimmungen also beachten. Am Sonntag wird er in einer Sondersitzung des Bundestages eine Regierungserklärung zum Ukraine-Krieg abgeben.
Und auch in der EU war Berlin zunehmend isoliert. So teilte Selenskyj am Samstagmorgen nach einem Telefonat auf Twitter mit, dass Italiens Ministerpräsident Mario Draghi inzwischen einen Ausschluss Russlands aus dem globalen Zahlungssystem Swift unterstütze. Der sozialdemokratische Parteichef Enrico Letta, dessen Partei Teil der Regierung des parteilosen Draghi ist, bestätigte dies. Der Meinungsumschwung des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) ins Lager der Swift-Hardliner war eine Vorentscheidung.
Neben Scholz waren es beim EU-Gipfel vor allem Draghi und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, die auf die Bremse traten. Auch Frankreich ist skeptisch. Inzwischen haben Österreich und Zypern (wo viele russische Milliardäre einen Wohnsitz haben) ihre Positionen gewechselt. Beide Länder würden einen Swift-Ausschluss Russlands mittragen. Die USA wären dazu sofort bereit, doch US-Präsident Joe Biden sagte zuletzt, die Europäer seien noch nicht soweit.
Jeder an das Swift-System angeschlossene Teilnehmer hat eine eigene Swift-Adresse, den Bank Identifier Code, kurz BIC. Anhand dieser internationalen Bankleitzahl sind Kreditinstitute eindeutig identifizierbar. Das Swift-System stellt auf diesem Wege zum Beispiel sicher, dass Auslandsüberweisungen auf dem richtigen Konto eingehen. Mehr als 11.000 Teilnehmer in über 200 Ländern nutzen den Dienst, vor allem Banken, aber auch Wertpapierfirmen und große Konzerne. Täglich werden über das Swift-System Millionen von Nachrichten verarbeitet und milliardenschwere Geldsummen rund um den Globus geschickt. Swift hat seine Zentrale in La Hulpe bei Brüssel.