Europas Schreckgespenst holt in Umfragen auf "Silvio Berlusconi ist großartig"

Rom · In wenigen Tagen wird das italienische Parlament neu gewählt. Die wohl schillerndste Figur im Wahlkampf ist Silvio Berlusconi. Im Endspurt um die Wählerstimmen ignorieren die begeisterten Anhänger alle Skandale um den Ex-Premier.

Silvio Berlusconi - Zwischen Politik und Gerichtssaal
Infos

Silvio Berlusconi - Zwischen Politik und Gerichtssaal

Infos
Foto: dpa, Julien Warnand

Das Schreckgespenst Europas wird mit Sprechchören begrüßt. "Silvio, Silvio, Silvio", hallt es durch den Saal, als der Kandidat zum Klang eines honigsüßen Songs Einzug hält. Eine sanfte Männerstimme säuselt aus den Boxen "La Libertà". Es ist die Hymne der Berlusconi-Partei. Sie handelt von der Freiheit, vom Glück und von einer heilen Welt, die man sich hier in diesem prall gefüllten Konzertsaal in Rom noch einmal ganz genau ansehen kann.

Beinahe 20 Jahre sind vergangen, seit Silvio Berlusconi zum ersten Mal mit diesem Rezept Erfolg hatte. Ein gut gelaunter Unternehmer versprach schon damals die Befreiung von Steuern, von den Kommunisten und von einer politisch motivierten Justiz. Das ist auch heute noch, gut eine Woche vor den Parlamentswahlen in Italien, der Berlusconi-Dreiklang. Sogar Leute wie der amtierende Ministerpräsident Mario Monti gaben dem Verführer 1994 ihre Stimme.

Monti ist heute ein erklärter politischer Gegner Berlusconis. Aber nicht alle haben eine Katharsis durchgemacht wie der ehemalige EU-Kommissar und Rektor der renommierten Bocconi-Universität in Mailand. Da sind etwa zwei blonde Engel in engen Jeans und Stöckelschuhen. Sie trippeln die flachen Stufen des 1700 Zuschauer fassenden Saals nach unten in die vorderen Reihen und werden in einigen Minuten mit anderen im Takt wippen: "Wer nicht hüpft, der ist ein Kommunist, hey, hey!"

Berlusconi hofft auf rund 30 Prozent

Giulia, die kleinere, sagt: "Berlusconi ist großartig, er ist charmant und schlagfertig." Rebecca meint, der Cavaliere würde angefeindet, beneidet und sei trotz allem immer noch da. "Die angeblichen Skandale sind Lügenmärchen", sagt sie. Etwa 20 Prozent der italienischen Wähler denken wie Giulia und Rebecca. Auf so viele Stimmen kommt das "Volk der Freiheit" (PdL) den letzten Umfragen zufolge.

Zusammen mit den Bündnispartnern wie der Lega Nord kann Berlusconi auf etwa 28 Prozent der Stimmen hoffen, vielleicht mehr. Zum Wahlsieg fehlt da nicht mehr viel, denn die Linksdemokraten mit Spitzenkandidat Pier Luigi Bersani und ihre Verbündeten hatten zwei Wochen vor der Wahl gerade einmal sechs Prozent Vorsprung. Inzwischen dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden.

Vielleicht hat der deutsche Papst mit seinem Rücktritt dem großen Zampano einen Streich gespielt. Berlusconi braucht die Aufmerksamkeit der Medien und vor allem des Fernsehens, um weiter aufzuholen, aber die hat jetzt der amtsmüde Papst.

Noch bevor der inzwischen 76 Jahre alte Kandidat den Saal betritt, bekommen die wartenden Besucher eine Lektion. Auf eine Leinwand neben der Bühne wird vor Beginn der Veranstaltung ein Film projiziert. Zu sehen ist die Berlusconi-Saga, die immer noch wie ein Kitt unter seinen Anhängern wirkt.

Gezeigt wird ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der aus eigener Kraft nach und nach ein Imperium aufgebaut hat. Erst mit Immobilien, dann mit dem Fernsehen, die Geschichte ist eindrucksvoll, sie ist so etwas wie der italienische Traum. Irgendwann kann sich der Mann sogar einen eigenen Fußballverein leisten, der einen Titel nach dem anderen gewinnt.

Berlusconi erschafft seine eigene Welt

Berlusconi gelingt alles. Das ist die Botschaft des Streifens, und davon ist der Mailänder Unternehmer selbst bis heute überzeugt. Laut Forbes ist er mit einem Vermögen von 7,8 Milliarden US-Dollar einer der reichsten Italiener. In wenigen Minuten werden die Zuschauer das Gesamtkunstwerk S. B. dann in echt zu sehen bekommen. "Geht's los?", fragt eine Frau im Pelz und knurrt eine Gruppe Männer an, weil sie ihr angeblich die Sicht versperrt.

Es sind vor allem Senioren, die im Saal sitzen. Ein älterer Herr liest die Zeitung "Il Giornale", das Hausblatt Berlusconis. Wer "Il Giornale" oder "Libero" glaubt und sich dazu in den einschlägigen Sendungen des Mediaset-Konzerns informiert, der lebt in einer ganz eigenen Welt. Berlusconis Erfolg als Unternehmer ist auch heute noch die Quelle seines Selbstbewusstseins. Neid und Missgunst seien der Antrieb seiner Gegner, vor allem der Linken, behauptet er selbst.

Diese Gleichung ist ein Leitmotiv seiner Wahlkampfveranstaltungen. Sie ist so einfach, dass man alle hinein packen kann: Sozialdemokraten, also Kommunisten; Staatsanwälte, also Kommunisten und alle anderen Feinde der Freiheit und des Wohlstands — zum Beispiel auch Monti oder die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Weniger Steuern sollen es richten

Dann erklingt die italienische Nationalhymne. Der viermalige Ministerpräsident hat die Bühne betreten und steht neben dem Rednerpult. Die Bühne gehört ihm ganz allein, der kleine Mann im weiten Zweireiher da unten legt die Hand aufs Herz und wirkt zufrieden. In den Wochen des Wahlkampfes bekam man aus der Partei "Volk der Freiheit" kaum ein anderes Gesicht zu sehen als seines. Die Parteifreunde sind Marionetten, die der Puppenspieler nach Belieben bewegt. Keiner hat denselben polarisierenden Effekt bei den Leuten wie er. Entweder verabscheut man ihn, heute tut das die Mehrheit der Italiener. Oder man verehrt ihn, das tun heute etwa 20 Prozent.

Und dann sind da noch diejenigen, die die Nase von der Politik voll und sich noch nicht entschieden haben, ob dieser Menschenfänger schlimmer ist als die anderen oder nicht. Auf sie hat er es abgesehen. Berlusconi beginnt seine Rede, sie ist mit flotten Sprüchen gespickt. Bald gerät der Saal in Ekstase. "Wollt ihr weniger Steuern zahlen?", fragt Berlusconi. "Si" (ja), ruft der Saal zurück. "Wollt ihr mehr Konsum, Produktion und Arbeitsplätze?" "Siiiiiiii!"

Wenn man die Steuern senkt, das ist der Gedanke, geht es wirtschaftlich nach oben. Natürlich drängt sich die Frage auf, warum Berlusconi die Aktivierung dieses Mechanismus in acht Jahren Regierungszeit nicht gelungen ist, aber jetzt ist nicht die Zeit für Fragen, sondern für Versprechungen: Rückzahlung der Immobiliensteuer, Steueramnestie, vier Millionen Arbeitsplätze. "Siiiiiii!" Am Ende bleibt ein schales Gefühl: Warum glauben ihm die Menschen das alles noch?

(RP/nbe)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort