Siebter Tag des Ukraine-Krieges Wieder Angriffe auf Charkiw - Russland warnt die Nato
Moskau/Kiew · Die zweitgrößte Stadt der Ukraine wird mit russischer Artillerie und Luftangriffen beschossen. Die Ukraine spricht vom „Stalingrad des 21. Jahrhunderts“. Gleichzeitig will Moskau auch wieder verhandeln. Allerdings bleibt die Hoffnung auf eine Einigung gering.

Kampf um Kiew
Russland hat seine heftigen Angriffe auf mehrere ukrainische Städte fortgesetzt. Der staatliche Notfalldienst der Ukraine meldete, dass seit Beginn des Krieges mehr als 2000 Zivilisten getötet worden seien. Unabhängig bestätigt werden konnte das allerdings nicht. Russische Attacken gab es nach ukrainischen Angaben am Mittwoch unter anderem auf die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw. „Charkiw ist heute das Stalingrad des 21. Jahrhunderts“, sagte Präsidentenberater Olexij Arestowytsch. Dennoch sollte es noch eine weitere Verhandlungsrunde zwischen Vertretern beider Länder geben.
Wo genau die Gespräche stattfinden sollten und wann sie beginnen sollten, blieb zunächst unklar. Nach der letzten - ergebnislosen - Gesprächsrunde am Montag an der belarussisch-ukrainischen Grenze war die Grenze zu Polen als nächster Treffpunkt genannt worden. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, die russische Delegation sei bereit. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärte, auch sein Land wolle über eine Waffenruhe verhandeln, lasse sich aber nicht erpressen. Die Forderungen Russlands seien nach wie vor die selben wie vor Beginn des Krieges, sagte er. Die russische Delegation soll wieder von Wladimir Medinskij angeführt werden, dem Kulturberater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch diesmal sind die Hoffnungen auf einen Durchbruch gering.
In Charkiw verschanzten sich derweil weiter die Bewohner vor den russischen Artilleriegeschossen und Bomben. Nach Angaben der örtlichen Verwaltung vom Mittwoch kamen dort innerhalb von 24 Stunden 21 Menschen ums Leben, 112 wurden verletzt. Explosionen waren nahe dem Gebäude des Stadtrates zu hören. Beschossen wurde auch die Zentrale der örtlichen Polizei und des Geheimdienstes sowie andere Gebäude. In Videos im Internet war zu sehen, dass das fünfstöckige Gebäude kein Dach mehr hatte und das oberste Geschoss in Flammen stand. Präsidentenberater Arestowytsch sagte, mehrere russische Flugzeuge seien über Charkiw abgeschossen worden.
Auch an anderen Fronten ging der russische Angriff weiter, unter anderem in Odessa und Mariupol. In Tschernihiw im Norden sei ein Krankenhaus von zwei Raketen getroffen worden, berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Unian. Auch Mariupol werde ohne Unterlass beschossen, sagte Bürgermeister Wadym Boytschenko der Nachrichtenagentur Interfax. „Wir können nicht einmal die Verwundeten von den Straßen holen, aus den Häusern und Wohnungen.“ Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP sah, wie ein Jugendlicher dort im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag, nachdem ihm durch mutmaßliche russische Artilleriegeschosse ein Bein weggerissen worden war. Ein mehr als 60 Kilometer langer russischer Militärkonvoi rückte langsam weiter auf die Hauptstadt Kiew vor.
Die UN-Vollversammlung verurteilte in einer Resolution den russischen Krieg in der Ukraine und rief mit großer Mehrheit Russland dazu auf, den Krieg zu beenden und seine Soldaten komplett aus der Ukraine abzuziehen.
US-Präsident Joe Biden lobte in seiner ersten Rede zur Lage der Nation die Tapferkeit der Ukrainer, die sich der militärischen Übermacht Russlands entgegenstellen. Putin sei durch die Invasion ins Nachbarland weltweit so isoliert, wie er es noch nie gewesen sei, sagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) vor beiden Häusern des US-Kongresses. Gleichzeitig mahnte er dazu, den Sanktionsdruck gegen Russland aufrechtzuerhalten. „Wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggression zahlen, verursachen sie mehr Chaos“, sagte Biden. „Sie machen weiter. Und die Kosten und Bedrohungen für Amerika und die Welt steigen immer mehr.“
Kreml-Sprecher Peskow räumte ein, dass es Sanktionen wie die gegen Russland noch nie gegeben habe. Sein Land sei aber darauf vorbereitet gewesen, sagte er. Erstmals nannte Russland auch Zahlen zu den Verlusten in den eigenen Reihen. 498 russische Soldaten seien getötet und 1597 seien verwundet worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, auch die ukrainische Kultur und Geschichte ausradieren zu wollen, nachdem am Dienstag bei einem Angriff auf einen Kiewer Fernsehturm auch die nahe liegende Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar beschädigt worden war. Der Präsident, selbst ein Jude, rief die jüdische Gemeinschaft zu Protesten gegen die russische Invasion in die Ukraine auf. „Ich appelliere jetzt an alle Juden der Welt - sehen Sie nicht, was passiert?“, fragte Selenskyj.
Ein Fotograf der Nachrichtenagentur AP, der am Mittwoch vor Ort war, sagte, das zentrale Mahnmal dort sei unbeschädigt. Ein Sprecher der Gedenkstätte hatte zuvor erklärt, an einem jüdischen Friedhof auf dem Gelände habe es Schäden gegeben. Wie groß diese seien, sei aber unklar.