Sicherheitspolitik Wie heiß ist dieser Kalte Krieg?

München · In München erlebte die Welt der Sicherheitspolitik einen zaghaften Schritt zu einer Syrien-Lösung - und eine wachsende Neigung zu einer neuen Ost-West-Konfrontation.

Die wichtigsten Aussagen der Münchner Sicherheitskonferenz 2016
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Die wichtigsten Aussagen der Münchner Sicherheitskonferenz 2016

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Foto: dpa, cs fdt

30 Staats- und Regierungschefs sowie 70 Außen- und Verteidigungsminister selbst aus verfeindeten Ländern in einem Saal, Tausende Vier-Augen-Gespräche am Rande, eine erste Verständigung zwischen USA und Russland, Iran und Saudi-Arabien - diese Münchner Sicherheitskonferenz hatte eigentlich das Zeug zum ganz großen Durchbruch nach bitteren Jahren des Mordens und Tötens in der Ukraine und in Syrien. Selbst US-Außenminister John Kerry schaltete zunächst auf "Wir-schaffen-das"-Modus und feierte den Moment als "Wendepunkt". Doch das physische Beisammensein im Bayerischen Hof konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass manche Akteure mental auf verschiedenen Kontinenten, ja in unterschiedlichen Universen steckten.

Brennglasartig war dies in einer kleinen Zwischenbilanz zu besichtigen, als Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Frage nach den Chancen für einen Syrien-Friedenskurs auf "51 Prozent" einschätzte und die Frage lächelnd an seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow weiterleitete. Der antwortete nicht mit einer Zahl, sondern mit einer minutenlangen Anklage, mit der er die Verständigung von Donnerstagnacht im Vorbeigehen wieder vom Tisch nahm. "Aha, eher null Prozent", meinte der britische Außenminister Philipp Hammond sarkastisch.

Wenn es wenigstens null wären! Die von Moskau in München angestimmte Tonlage weist tief in den negativen Bereich. "Wir sind in einen neuen Kalten Krieg abgerutscht", stellte Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew fest, nachdem er ein Schreckensszenario der lahm gelegten Kommunikationskanäle gezeichnet hatte. Wie sehr die vor zehn Jahren in München noch skizzierte west-östliche Sicherheitsarchitektur für die Welt einem misstrauischen Belauern unter apokalyptischer Perspektive gewichen ist, zeigt der Umgang mit aktuellen Münchner Zitaten. Da hatte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg irritiert über russische Drohungen mit einem Atomkrieg gezeigt und warnend darauf hingewiesen, dass die Verteidigungsstrategie der Nato auch eine nukleare Komponente umfasse - und schon sah Medwedew diese Äußerung als Beleg: "Die Nato droht uns mit einem Atomkrieg!", sagte er.

Die Tonlage wusste US-Senator John McCain zu erwidern. Nach außen zu Verhandlungen bereit, auf dem Schlachtfeld schnell noch Fakten schaffen. Dieses Vorgehen Russlands zur Verbreiterung der Herrschaft Assads in Syrien auf Aleppo und weitere Gebiete sei "genau der Film, den wir aus der Ukraine kennen", kritisierte McCain und zeigte sich angewidert davon, dass "niemand Russland stoppt". Der Senator plädierte für einen schnellstmöglichen Kurswechsel.

Das Vorrücken Russlands hat auch damit zu tun, was Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, als "Lektion" der vergangenen Jahre analysierte: Europa müsse lernen, die Lösung seiner Sicherheitsprobleme nicht mehr an die USA delegieren zu können. Und es müsse begreifen, dass seine Sicherheit von einer einheitlichen Haltung abhänge. Wenn jetzt tatsächlich diskutiert werde, Russland Zugeständnisse in der Ukraine zu machen, um in Syrien voranzukommen, sei dies eine Ermutigung für aggressives Vorgehen.

Die Osteuropäer rufen nach der Nato

Und es würde Europa endgültig zerreißen. Für die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite ist der Kalte Krieg in der Ukraine längst zum heißen geworden. Sie bereite lieber die Verteidigung ihres Landes vor, gab sie in München zu Protokoll. Und auch Polens Präsident Andrzej Duda sah als oberstes Gebot der Stunde, die Nato-Präsenz in Osteuropa zu verstärken. Nachdrücklich warnte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko davor, die Moskauer Formulierung vom "ukrainischen Bürgerkrieg" zu akzeptieren: "Das ist kein Bürgerkrieg, das ist eine russische Aggression", sagte er.

In unzähligen Gesprächen bemühen sich westliche Sicherheitspolitiker, die Moskauer Signale zu interpretieren. Ist es noch der Versuch Russlands, vom Westen auf einer Augenhöhe behandelt zu werden? Darauf deutete Lawrows Botschaft hin, bei allen "einseitigen Handlungen" bis hin zum verantwortungslosen Vorgehen (Nord-)Koreas handele es sich um eine "Komplexität miteinander verwobener Konflikte", die allesamt nur "als Team" und "mit Russland" gelöst werden könnten. Oder läuft längst die Mission, den Westen zu spalten und vor allem an Europa für die Russland-Sanktionen Rache zu nehmen, die Europäer über einen "Migrationskollaps" (Medwedew) in die Knie zu zwingen?

Die deutsche Diplomatie arbeitete in München unermüdlich daran, einer sich aufbauenden Eskalation durch eine Strategie der vielen kleinen Einbindungen die Dynamik zu nehmen. So eruierte Steinmeier Lösungen für Libyen, verlangte von den nordirakischen Kurden Aufklärung über Waffenverbleib und Verfolgung von Gegnern. Und auch dem in der US-Delegation zwischenzeitlich erwogenen Boykott des Dinners mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer aus Protest gegen dessen unkritische Moskau-Reise schlossen sich nur wenige US-Gäste an. Die bemühten sich derweil darum, weiter an Möglichkeiten der Verständigung zu basteln. Vor allem Steinmeier und Kerry erörterten in einem Münchner Bierkeller bis weit nach Mitternacht die Lage unter vier Augen. Mag sein, dass sie dabei eine Idee entwickelten, wie auf der Grundlage der Münchner Vereinbarung versucht werden könnte, für Syrien möglichst viel zu retten. Jedenfalls telefonieren Stunden später die Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin miteinander, um den gemeinsamen Willen zum Waffenstillstand zu bekräftigen.

(may-)
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