Serie Migration Geld hilft nicht gegen Flucht

Armut in Afrika gilt als wichtige Fluchtursache. Aber mit mehr Entwicklungshilfe ist es nicht getan – das kurbelt die Auswanderung sogar noch an. Was helfen würde, sind massive Investitionen, die Jobs schaffen.

 Flüchtlinge aus Afrika rufen auf dem Mittelmeer in einem Boot um Hilfe.

Flüchtlinge aus Afrika rufen auf dem Mittelmeer in einem Boot um Hilfe.

Foto: dpa/Emilio Morenatti

Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das war lange Zeit eine nachsichtig belächelte Spezies. Die Amtsinhaber wurden gerne auf Kirchentage eingeladen, aber ansonsten nicht für ganz voll genommen – trotz der beträchtlichen Summen an Entwicklungshilfe, die sie zu verteilen hatten. Doch zuletzt hat die Funktion eine spektakuläre Aufwertung erfahren, und das liegt an der Flüchtlingskrise. Das Wohl Afrikas liege „im deutschen Interesse“, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel 2016, und es hörte sich an wie eine ganz neue Erkenntnis.

Plötzlich entdeckten deutsche und europäische Politiker die Entwicklungshilfe als Mittel, um die Migration nach Europa zu steuern. Oder besser gesagt, um sie zu verhindern. Seither ist viel von Fluchtursachen die Rede, die man bekämpfen will, und von Bleibeperspektiven, die man schaffen möchte. Aber lassen sich die großen Fluchtbewegungen unserer Zeit wirklich mit viel Geld und guten Worten stoppen?

Kriege, Armut, Folgen des Klimawandels, Unterdrückung, Terror – die Gründe dafür, warum sich Menschen auf die Flucht begeben, sind vielfältig, und häufig kommen gleich mehrere zusammen. So verlassen jedes Jahr Zehntausende junge Männer Eritrea, dessen stalinistisches Regime sie ansonsten zu lebenslangem Wehrdienst rekrutieren würde.

So etwas lässt sich natürlich nicht mit ein paar Entwicklungshilfeprojekten stoppen, genauso wenig wie die Flucht von Menschen aus Kriegsgebieten, für die es ums nackte Überleben geht. Und auch ansonsten ist die Bilanz finanzieller Transfers eher zwiespältig, was ihre Wirkung auf die Migration angeht.

Zwar gibt es positive Beispiele wie Äthiopien. Das ostafrikanische Land erhielt zuletzt mit insgesamt rund 830 Millionen Euro die höchste Entwicklungshilfe aus der Europäischen Union, und tatsächlich ist die Auswanderung dort rückläufig. Allerdings warnen Experten wie der britische Migrationsforscher Paul Collier vor dem Irrglauben, mehr finanzielle Hilfe für Afrika bedeute automatisch weniger Migration nach Europa.

Häufig passiert nämlich genau das Gegenteil: Sorgt Entwicklungshilfe dafür, dass die Menschen in einem Land ein höheres Einkommen haben, kurbelt das die Auswanderung zunächst sogar an, weil es sich auf einmal mehr Menschen leisten können, im Ausland auf Arbeitssuche zu gehen.

So gelangen aus bitterarmen Ländern wie Niger kaum Menschen nach Europa, aus wirtschaftlich bessergestellten Ländern wie Senegal oder Ghana dagegen vergleichsweise viele. Ökonomen nennen das Phänomen „migration hump“, den Migrationshügel, weil die Auswanderungsneigung mit steigendem Einkommen zunächst einmal steigt, bis die Lebensqualität so weit zugenommen hat, dass das Verlassen der Heimat unattraktiv wird. Oder platt gesagt: Arme fliehen nicht.

Wer also mit Entwicklungshilfe Armut als Fluchtursache bekämpfen will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich wenigstens für eine gewisse Zeit der genau gegenteilige Effekt einstellen könnte. Und das massive Wohlstandgefälle zum Norden, das als wesentlicher Faktor für die Migration wirkt, würde dadurch nicht einmal wesentlich gelindert.

Zwar konnte in den besonders bedürftigen Ländern südlich der Sahara die Armutsquote auf deutlich unterhalb 50 Prozent gedrückt werden, die absolute Zahl der Armen wächst dennoch unablässig. Grund dafür ist vor allem das anhaltend starke Bevölkerungswachstum. Laut einer Prognose der Vereinten Nationen wird die Zahl der Afrikaner von heute rund 1,2 Milliarden bis 2030 auf knapp 1,7 Milliarden steigen, bis 2050 sogar auf 2,5 Milliarden.

Es sei ausgeschlossen, sagt Helmut Asche, Leiter des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit, dass in Afrika aus eigener Kraft genug Jobs entstehen, um so einer rasch wachsenden Zahl von Menschen etwas anzubieten. Dabei stellt die Bereitstellung von (guten) Arbeitsplätzen in Afrika den wohl besten Anreiz dar, um die Menschen zum Bleiben zu bewegen. Inzwischen ist die Einsicht gewachsen, dass dieses Ziel mit den Mitteln der klassischen Entwicklungshilfe nie und nimmer zu erreichen ist und wohl auch nicht mit den unausgegorenen Marshall-Plänen, die die europäische Politik zuletzt unter dem Druck der Ereignisse aufgelegt hat.

Ökonomen fordern schon lange, dass vor allem westliche Investoren die benötigten Jobs in Afrika schaffen müssen. In der Entwicklungszusammenarbeit galt jede Nähe zur Wirtschaftsförderung jedoch jahrzehntelang als anrüchig, mit der bedauerlichen Folge, dass all die gutgemeinte Entwicklungshilfe kaum Jobs schaffte – außer in der Entwicklungshilfeindustrie.

In diesem Punkt ist die Debatte heute gottlob sehr viel pragmatischer geworden. Und man kann nur hoffen, dass das auch sehr schnell bei Europas Handelspolitik geschieht. Deren desaströse Wirkung auf viele afrikanische Volkswirtschaften ist hinlänglich bekannt. So überschwemmte die hocheffiziente EU-Agrarindustrie Afrika mit ihren Produkten und trieb viele einheimische Bauern in den Ruin. Deren Söhne waren dann häufig die ersten Kandidaten für die Auswanderung nach Europa. Wenn wir den afrikanischen Ländern nicht erlauben, wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige zu entwickeln, bevor sie sich der harten Konkurrenz des Weltmarkts aussetzen, wird der Kontinent wohl auf Dauer abhängig bleiben.

Der von den Europäern erzwungene Freihandel mit den Afrikanern sei in etwa so fair wie „ein Fußballspiel zwischen Real Madrid und der Schulmannschaft von Bole Bamboi“, schreibt Asfa-Wossen Asserate wütend in seinem Buch „Die neue Völkerwanderung“. Und man muss wohl hinzufügen: Ganz schön dumm ist er obendrein.

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