An der Donau entsteht ein Einheitsstaat Serbiens Parlament ohne Opposition

BELGRAD · Die Partei von Serbiens Präsident Vucic feiert die Zementierung ihrer Macht bei der Parlamentswahl. Das Land will in die EU, entfernt sich aber in seiner politischen Kultur immer weiter von Europa.

 Die wichtigsten serbischen Zeitungen kannten am Montag nur ein Thema: die sowjetisch anmutende Mehrheit für die Regierungspartei SNS.

Die wichtigsten serbischen Zeitungen kannten am Montag nur ein Thema: die sowjetisch anmutende Mehrheit für die Regierungspartei SNS.

Foto: AFP/ANDREJ ISAKOVIC

Im Gedränge überwog die Siegesfreude alle Virus-Ängste.  Ohrenbetäubend ließ eine Blaskapelle im beengten Wahlstab von Serbiens regierender Fortschrittspartei (SNS) Hörner und Trompeten erschallen. Vor laufenben Kamera tänzelte eine Handvoll von untergehakten Würdenträgern ausgelassen im traditionellen Kolo-Reigen.

Kurz darauf wogte frenetischer Applaus einem hochgewachsenen Mann mit Hornbrille entgegen,  als der allgewaltige Partei- und Staatschef Aleksander Vucic endlich zum Mikrofon schritt. Er sei lange in der Politik, aber so einen „historischen Moment“ habe er noch nie erlebt, freute sich der 50-Jährige über den zu diesem Zeitpunkt schon absehbaren Erdrutschsieg seiner nationalpopulistischen SNS bei der Parlamentswahl am Sonntag: „Ich habe ein solches Vertrauen des Volkes nicht erwartet.“

„Unglaublicher Sieg!“, titelte zu Wochenbeginn freudig der regierungsnahe „Kurir“, einen „absoluten SNS-Triumph“ vermeldete der „Blic“. Tatsächlich dürfte das Ergebnis für die Partei von Serbiens Präsidenten auch so manchen zentralasiatischen Autokraten vor Neid erblassen lassen: Mit 62,9 Prozent der Stimmen stellt die SNS künftig 189 der 250 Abgeordneten im Parlament – und verfügt selbst ohne Koalitionspartner über eine Dreiviertelmehrheit. Außer dem bisherigen Koalitionspartner SPS (10,9 Prozent) und vier Minderheitsparteien rutschte nur noch die nationalkonservative SPAS (4,2 Prozent) ins Parlament: Ohne die kurzfristige Senkung der Wahlhürde von fünf auf drei Prozent wären die bisherigen Regierungspartner im Parlament sogar ganz unter sich geblieben. 

Ungarns Premier Viktor Orbán war einer der Ersten, der seinem autoritär gestrickten Gesinnungsgenossen per Instagram gratulierte. „Danke, lieber Freund!“, so die Antwort von Serbiens Seriensieger. Allerdings: Mehr als die Hälfte seiner Landsleute war dem von den wichtigsten Oppositionsparteien boykottierten Urnengang lieber ferngeblieben. Mit 47,5 Prozent sackte die Wahlbeteiligung auf den niedrigsten Wert seit Einführung des Mehrparteiensystems vor 30 Jahren.

Der Boykott habe sein Ziel erfüllt und „das Regime vollkommen bloßgestellt“, erklärte Dragan Djilas vom oppositionellen „Bündnis für Serbien“ (SZS), der an die zahlreichen Unregelmäßigkeiten selbst noch am Wahltag erinnerte: „Alle haben sehen können, wie Serbien heute aussieht.“ Nur die Autokraten in Kasachstan, Weißrussland und Nordkorea hätten noch bessere Ergebnisse als Vucic eingefahren, ätzte das Webportal nova.rs.

Tatsächlich sollte die Wahlfarce den EU-Partnern zu denken geben. Seit 2014 schleppt sich Serbien eher schlecht als recht durch die EU-Beitrittsverhandlungen – und ein Ende des Prozesses ist nicht absehbar. Statt sich der EU anzunähern, entwickelt sich der Anwärter immer mehr zum autoritär geführten Einparteienstaat.

Pflichtschuldig haben die Verantwortlichen in Brüssel der SNS zwar zum Wahltriumph gratuliert. Doch an der EU interessiert Belgrad nur der Binnenmarkt, Hilfsgelder und die Investoren, aber keineswegs EU-Grundwerte wie Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder die Unabhängigkeit der Justiz. Auch Europas in der Europäischen Volkspartei mit der SNS assoziierte Christdemokraten müssen sich fragen lassen, ob sie einen derartigen Partner überhaupt wollen.

Mehr als 50 Prozent der Bürger hätten keine Vertreter mehr in Serbiens Parlament, in dem künftig kein einziger pro-europäischer Abgeordneter sitze, konstatiert der Politikprofessor und frühere Oppositionspolitiker Bojan Pajtic: „Das ist in den Augen des Westens schockierend.“ Von einem „Pyrrhussieg“ der SNS spricht gar Florian Bieber, Direktor des Zentrums für südosteuropäische Studien in Graz: „Ohne die Opposition im Parlament sind die Wahlen diskreditiert - und die Regierung ist noch weniger legitimiert als jemals zuvor.“

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