Recht auf Schwangerschaftsabbruch Oberstes US-Gericht könnte Abtreibungsurteil kippen

Washington · Seit Jahrzehnten laufen konservative US-Politiker gegen das Recht von Frauen Sturm, über eine Abtreibung selbst zu entscheiden. Jetzt könnte es am Obersten Gericht eine Mehrheit für ihr Vorhaben geben - und viele Staaten könnten Schwangerschaftsabbrüche verbieten. Das hat gewaltige Auswirkungen.

 Ein Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen könnte in den USA gekippt werden.

Ein Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen könnte in den USA gekippt werden.

Foto: dpa/Joel Martinez

Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten könnte laut einem Pressebericht das Abtreibungsurteil von 1973 kippen. Das Magazin „Politico“ schrieb, in einem von Richter Samuel Alito unterzeichneten Entwurf heiße es, das seinerzeitige Urteil im Fall Roe vs Wade sei von Anfang an falsch und müsse ebenso überstimmt werden wie ein Urteil von 1992, das die Entscheidung von 1973 bestätigte, aber den Einzelstaaten gestattete, gewisse Beschränkungen zu erlassen. Eine Gerichtssprecherin wollte sich nicht äußern.

Das von „Politico“ zitierte Dokument ist den Angaben zufolge der erste Entwurf einer „Meinung des Gerichts“ im Prozess um das Abtreibungsgesetz in Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Bei der Anhörung dazu im Dezember hatten alle sechs konservativen Richterinnen und Richter durchblicken lassen, dass sie das Gesetz wohl bestätigen würden. Fünf deuteten an, dass sie möglicherweise die Urteile von 1973 und 1992 kippen könnten. Das Oberste US-Gericht hat neun Mitglieder. Eine Entscheidung wurde für Ende Juni oder Anfang Juli erwartet.

Unklar war, ob es sich bei dem Meinungsentwurf um eine endgültige Entscheidung handelt. Meinungsäußerungen von Richtern vor einem Urteil können sich ändern, was oft geschehen ist. Der Meinungsentwurf legt nahe, dass sich die Richterinnen und Richter nach der Anhörung im Dezember getroffen und Samuel Alito damit beauftragt haben, eine Mehrheitsmeinung zu verfassen.

Das Urteil im Fall Roe vs Wade vom 22. Januar 1973 war eine Grundsatzentscheidung, die Frauen das verfassungsmäßige Recht zusprach, über einen Schwangerschaftsabbruch frei zu entscheiden. Für die Einzelstaaten galt die Maxime, dass sie Abtreibungen nicht verbieten können, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig ist. Das ist meist nach der 24. Woche der Fall.

Alito schrieb jetzt jedoch, die Frage der Abtreibung müsse den gewählten Volksvertretern überlassen werden. Das würde bedeuten, dass die einzelnen US-Staaten ihr jeweiliges Abtreibungsrecht weitgehend selbst regeln können. Das könnte dazu führen, dass gut die Hälfte der Staaten Schwangerschaftsabbrüche schlicht verbietet. Das wiederum dürfte gewaltige Auswirkungen auf die Wahlen im November haben.

Die führenden Demokraten im Kongress, die Repräsentantenhausvorsitzende Nancy Pelosi und Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer, warnten vor der größten Rechtseinschränkung der vergangenen 50 Jahre. Das gelte nicht nur für Frauen, sondern für alle Amerikaner - falls der „Politico“-Bericht zutreffe. Die republikanische Justizministerin von Mississippi, Lynn Fitch, rief dagegen dazu auf, erst einmal das Urteil abzuwarten.

Umfragen zeigen, dass nur wenige US-Bürger eine Aufhebung des Grundsatzurteils von 1973 befürworten. Vor der Wahl 2020 waren 69 Prozent der Befragten der Ansicht, das Oberste Gericht solle das Urteil von 1973 nicht antasten. Allgemein befürwortete eine Mehrheit, Schwangerschaftsabbrüche in allen oder den meisten Fällen rechtlich zuzulassen.

Richter Alito schrieb dazu laut „Politico“, das Oberste Gericht könne die Reaktion der Öffentlichkeit nicht vorhersagen und solle es auch gar nicht versuchen. Es dürfe sich in seiner Arbeit nicht von äußeren Einflüssen wie der öffentlichen Meinung beeinträchtigen lassen.

Die Entscheidungsfindung des Obersten Gerichts ist streng vertraulich und es ist äußerst selten, dass etwas davon an die Öffentlichkeit gelangt, noch dazu in einem so bedeutenden Fall. „Politico“ schrieb, es habe eine Kopie des Meinungsentwurfs von einer mit dem Vorgehen des Gerichts im Fall des Abtreibungsgesetzes in Mississippi erhalten. Außerdem lägen Einzelheiten vor, die die Echtheit der Kopie bestätigten. Die Nachrichtenagentur AP konnte die Echtheit des Papiers zunächst nicht bestätigen.

In den vergangenen Jahren ist eine klare konservative Mehrheit von sechs zu drei am Obersten Gericht installiert worden. Viele konservativ regierte US-Staaten haben zudem strenge Abtreibungsgesetze erlassen, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass das Oberste Gericht das Grundsatzurteil von 1973 kippt, wenn es sich mit diesen Gesetzen befasst. Zu diesen gehören sogenannten Herzschlaggesetze wie das in Mississippi, das Schwangerschaftsabbrüche ab dem Zeitpunkt verbietet, zu dem ein Herzschlag des Fötus festgestellt werden kann. Viele Frauen wissen dann aber oft noch gar nicht, dass sie schwanger sind. In manchen Staaten gilt das Abtreibungsverbot schon ab der sechsten Schwangerschaftswoche.

Dagegen haben 16 liberal regierte Staaten das Recht auf Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten ins Gesetz geschrieben. Auch der Kongress in Washington könnte versuchen, ein liberales Abtreibungsrecht festzuschreiben.

(axd/dpa)
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