Inside USA Schüsse, Schlägerei und vier Cola

Eine Nacht auf Streife mit der Elite-Einheit der Polizei in Philadelphia zeigt das vernarbte Gesicht eines rauen, düsteren Großstadt-Amerika. Gewalt und Respektlosigkeit prägen den Umgang. Waffen sind Alltag. Die Polizei gibt sich hart und kompromisslos, ist aber oft machtlos.

Michael Bröcker bei der Elite-Polizei
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Die ersten Schüsse fallen vor Schichtbeginn. Dave Marcellino und Bob Nesmith sind gerade in ihre Ford-Limousine mit der Aufschrift H-26 gestiegen, da knarrt das Funkgerät: "Shooting". Mit Sirene rasen die Polizisten der Philadelphia Highway Patrol zum Tatort, drei Straßen südlich des Hauptquartiers. Die Gegend gehört laut Kriminalstatistik zu den gefährlichsten Vierteln der Stadt.

Wer mit der Polizei redet, lebt gefährlich

Zwei Männer, wie später als Suchmeldung rausgegeben wird, 23 und 25 Jahre alt, schwarz, haben aus einem fahrenden schwarzen Dodge auf einen 20-Jährigen geschossen. Treffer im Nacken und im Handgelenk melden die Rettungskräfte, als Marcellino und Nesmith eintreffen. Drei Polizeiwagen sind da. Blut ziert den Asphalt vor dem Eingangsportal einer kleinen Kirche. Das Opfer ist auf dem Weg ins Krankenhaus, von den Tätern fehlt jede Spur. Ein Dutzend Anwohner stehen am Straßenrand, beobachten, diskutieren, manche lachen. Als Zeugen kommen sie nicht infrage. In diesem Teil der Stadt haben Drogenbosse und Gangs das Sagen. Wer mit den Cops redet, gilt als Verräter. "Und der hat vielleicht am nächsten Tag eine Kugel im Kopf", sagt Marcellino. "Man mag uns hier eben nicht." Die beiden fahren noch ein paar Minuten um den Block, halten nach dem Fluchtauto Ausschau. Vergebens. Die örtlichen Kollegen übernehmen. Es war übrigens die zehnte Schießerei in den letzten fünf Tagen.

Spitzname "Killadelphia"

Polizeidienst in Philadelphia, das ist buchstäblich ein Himmelfahrtskommando. Lebensgefährlich. Wegen ihrer Mordrate (rund 340 pro Jahr) wird die zweitgrößte Stadt der Ostküste "Killadelphia" genannt. Zwar sind die Zahlen rückläufig, doch Amerikas Gründerstadt gehört stets zu den Top Five der US-Mordrangliste. Sechs Polizisten wurden in den letzten drei Jahren im Dienst erschossen, zuletzt Patrick McDonald, Mitglied der Highway Patrol. Sein Foto hängt in der Lobby des Hauptquartiers, daneben seine Dienstmarke und der Satz "hero born", geboren als Held. Die Highway Patrol, einst als Motorradeinheit gegründet und für den Autobahnverkehr zuständig, wurde wegen der wachsenden Gewalt vor Jahren zu einer innerstädtischen Elite-Einheit umgebaut. Schwerverbrechen lautet heute der Auftrag, Drogen, Banden-Kriege, Morde.

Berüchtigte "boot guys"

Ihren Ruf als beinharte Kerle - wegen der kniehohen, schwarzen Stiefel werden sie "boot guys" genannt - tragen sie wie ein Abzeichen vor sich her. "Wir sind die aggressive Einheit", sagt Sergeant William Kleinkurt stolz. "Es geht um Respekt da draußen. Den bekommt man nicht mit Small Talk." Marcellino nickt. "Wenn wir kommen, wissen die Jungs, dass es ernst wird."

Gelegentlich wird aus Ernst auch Brutalität. Auf dem Internetportal "Youtube" ist ein Video zu sehen, in dem 15 Philadelphia Polizisten auf drei auf dem Boden liegende Afroamerikaner einprügeln. Wenige Monate später wurden zwei weiße Cops gefeuert, die in einer von Schwarzen dominierten Gegend von "Tieren" sprachen, gegen die man vorgehen müsse. Ein anwesender Reporter hatte das Gesagte veröffentlicht. Rassismus ist ein Dauer-Thema in einer an Polizei- und Justizskandalen reichen Stadt.

Rassismus ist Dauer-Thema

Mehr als jeder zweite Einwohner ist schwarz, aber nur jeder dritte Polizist. Mühsam versucht die Stadt, die latenten Spannungen zwischen dunkel- und hellhäutigen Einwohnern mit Programmen und Aktionen zu kitten. Afroamerikaner kämpfen immer noch um Chancengerechtigkeit. Die Kriminalstatistik ist indes eindeutig: die meisten Täter sind dunkelhäutig — und die meisten Opfer sind es auch. Die Polizisten selbst reden ungern über Rassismus. "Es gibt nur gute und schlechte Jungs, nicht schwarze und weiße", wiegelt Kleinkurt ab. Es seien überdies oft schwarze Polizisten, die sich über ihre dunkelhäutigen "Brüder" ärgern, sagt er. Ob das stimmt, ist kaum zu beweisen.

Bei Bob Nesmith stimmt es. "Halt den Mund du Weichei", schnauzt der schwarze Polizist einen schwarzen Jugendlichen an, der seine Freundin geschlagen haben soll und nun auf der harten Plastik-Rückbank des Streifenwagens sitzt und sich über die Handschellen beschwert. "Lass den Idiot ruhig schmoren", ruft der 55-Jährige seinem 20 Jahre jüngeren Partner zu, bevor er die Personalien aufnimmt. Der Täter ist bekannt, er hatte seine Freundin schon mal verprügelt. Ein örtlicher Polizist hatte die 23-Jährige mit dem dicken Veilchen über dem Auge aufgelesen und die Beschreibung des Mannes weitergegeben. Nesmith und Marcellino waren in der Nähe. In einer Seitenstraße erblickten sie den jungen Mann in Turnschuhen und Shorts, schnitten ihm mit dem Auto den Fluchtweg ab und überwältigten ihn in wenigen Sekunden.

Salzbrezel und Cola

Die Festnahme feiern die beiden mit Salzbrezeln und einer Cola an der Tankstelle. Die Pause an der Raststätte abseits der Nord-Süd-Autobahn 95 ist Tradition. Vier Colas werden es in dieser Nachtschicht sein. Pro Person. Was folgt ist Routine, die übliche Polizei-Lotterie. Autofahrer anhalten, kontrollieren und hoffen, dass ein dicker Fisch dabei ist. Nesmith und Marcellino machen daraus ein Spiel.

Abwechselnd wird bestimmt, welcher Wagen angehalten werden soll. Einen Anlass brauchen sie nicht. Mal sind ihnen getönte Scheiben suspekt, mal ein etwa 20-jähriger Fahrer einer Mercedes E-Klasse. Nesmith gibt Gas und rückt dem Auserwählten mit Sirene und Rotlicht auf den Kofferraum. Rechts ran fahren, lautet das Signal. "Das ist der Moment. Du weißt nie, ob einer losballert", sagt Marcellino. Mit der Hand am Halfter nähern sich die beiden, versuchen Gesten und Blick des Fahrers durch die Fenster zu deuten. "Immer auf die Hände achten", sagt Nesmith.

Abgesehen von ein paar Wortgefechten, es fällt öfter der Begriff "Fuck", bleibt es friedlich. Zwölf Personen werden überprüft, sieben sind vorbestraft, haben sich aber heute nichts zu schulden kommen lassen. Keine Festnahmen. Später sitzen Nesmith und Marcellino im Auto und zählen. Einen Punkt gibt es, wenn ein Auto angehalten wurde, in dem mindestens ein Insasse vorbestraft war. Am Ende der Schicht hat Bob Nesmith vier zu eins gewonnen.

Um 12 Uhr geht es zurück ins Hauptquartier. Die Bilanz: eine Schießerei, eine Festnahme. Und vier Cola. Es war eine ruhige Nacht.

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