Unabhängigkeitsreferendum in 2022? Schottisches Wahlergebnis befeuert Debatte über Scexit

Edinburgh · Schottlands Regierungschefin Sturgeon sieht sich von der Parlamentswahl in ihrem Unabhängigkeitskurs bestärkt. In Richtung London feuert sie eine erste Warnung ab. Nun beginnt das politische Endspiel um ein neues Referendum.

 Nicola Sturgeon (l), Erste Ministerin von Schottland und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), steht Ellbogen an Ellbogen mit ihrer Parteikollegin Kaukab Stewart unter Regenschirmen vor der Emirates Arena. Bei der Parlamentswahl in Schottland hat die Pro-Unabhängigkeitspartei SNP sich zur Siegerin erklärt.

Nicola Sturgeon (l), Erste Ministerin von Schottland und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), steht Ellbogen an Ellbogen mit ihrer Parteikollegin Kaukab Stewart unter Regenschirmen vor der Emirates Arena. Bei der Parlamentswahl in Schottland hat die Pro-Unabhängigkeitspartei SNP sich zur Siegerin erklärt.

Foto: dpa/Jane Barlow

Die schottische Regierung erwägt eine neue Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Großbritannien bereits im nächsten Jahr. Dies deutete Regierungschefin Nicola Sturgeon nach dem Erfolg ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP) bei der Regionalwahl am Sonntag in der BBC an. Sie schließe nicht aus, dass die entsprechende Gesetzgebung „Anfang kommenden Jahres“ ins schottische Parlament eingebracht werde. Erste Aufgabe sei es nun, Schottland aus der Corona-Krise zu steuern. Danach gelte es, sich darauf zu konzentrieren, welches Land Schottland sein wolle.

Sturgeon warnte die britische Regierung in London erneut davor, ein Referendum abzulehnen. Dies hätte „schwere“ Konsequenzen. Sturgeon wies darauf hin, dass die SNP und die Grünen, die ebenfalls für die Loslösung vom Vereinigten Königreich und eine Rückkehr in die EU eintreten, im Parlament gemeinsam eine klare Mehrheit haben. Eine Volksabstimmung zu blockieren, bedeute, den demokratischen Willen der Schotten zu ignorieren. Ohne Zustimmung aus London ist ein Referendum nach Ansicht der meisten Experten nicht rechtens.

Die britische Regierung von Premierminister Boris Johnson kündigte Widerstand an. Johnson rief die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon in einem Brief zur Zusammenarbeit auf und lud sie zu einem Treffen ein, an dem auch die Spitzen der anderen Landesteile Wales und Nordirland teilnehmen sollen. „Es ist meine leidenschaftliche Überzeugung, dass den Interessen der Menschen im Vereinigten Königreich und besonders der Menschen in Schottland am besten geholfen ist, wenn wir zusammenarbeiten“, schrieb Johnson. Der Nutzen dieser Kooperation habe sich besonders in der Corona-Pandemie gezeigt. „Das ist Team Vereinigtes Königreich in Aktion“, betonte Johnson.

Das Wahlergebnis gibt den Unabhängigkeitsbefürwortern im schottischen Parlament eine deutliche Mehrheit. Gemeinsam kommen die Schottische Nationalpartei (SNP) von Regierungschefin Sturgeon und die Grünen auf 72 Stimmen - die absolute Mehrheit liegt bei 65 Sitzen. Sturgeon will Schottland zurück in die EU führen. „Es ist der Wille des Landes“, sagte sie. Ohne Zustimmung aus London, so die Meinung der meisten Experten, wäre ein Referendum aber nicht rechtens. Sturgeon kündigte bereits an, notfalls vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.

„Angesichts dieses Ergebnisses gibt es keine demokratische Rechtfertigung für Boris Johnson oder irgendjemand anderen, das Recht der schottischen Bevölkerung, unsere Zukunft selbst zu wählen, zu blockieren“, sagte die Regierungschefin. Sollte London ein Referendum ablehnen, würde dies zeigen, dass die britische Regierung das Vereinigte Königreich „erstaunlicherweise nicht mehr als freiwillige Union der Nationen betrachtet“.

Experten sehen jedoch Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit auf Augenhöhe. „Die einzige sichere Schlussfolgerung, die man aus diesem Ergebnis ziehen kann, ist, dass Schottland in der Verfassungsfrage tatsächlich gespalten ist“, kommentierte der Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde.

2014 hatten 55 Prozent der Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Die Frage sei damit endgültig geklärt, betonen Unionsbefürworter seither. Doch die SNP vertritt den Standpunkt, dass sich mit dem Brexit die Bedingungen verändert hätten. Beim Brexit-Referendum 2016 hatte eine klare Mehrheit der Schotten für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt.

Mindestens genauso viel Raum wie der schottischen Parlamentswahl räumten Londoner Medien einem Machtkampf in der Labour-Partei ein. Nach einer herben Pleite bei den jüngsten Kommunalwahlen in England wurde Parteivize Angela Rayner übereinstimmenden Berichten zufolge von ihrem Amt als Generalsekretärin (Party Chair) entbunden, das sie in Personalunion bekleidet hatte. Die Wahlen galten als erster Stimmungstest nach dem Brexit.

In Wales konnte Labour hingegen einen Erfolg feiern. Dort wurde die Partei mit 30 von 60 Mandaten im Parlament klar stärkste Kraft. Auch bei den Bürgermeisterwahlen in London sowie im Gebiet Greater Manchester gewannen Labour-Kandidaten. In der Hauptstadt sicherte sich Sadiq Khan eine weitere Amtszeit als Chef im Rathaus der Metropole mit gut neun Millionen Einwohnern. Der seit 2016 regierende Bürgermeister gilt als erbitterter Gegner seines Vorgängers Johnson.

(lha/dpa)
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