Anschlag mit Giftgas in Syrien Warum so viel für Assad als Drahtzieher spricht

Düsseldorf · US-Präsident Donald Trump legt sich fest. Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande pflichten ihm bei: Das Assad-Regime steckt hinter dem jüngsten Giftgas-Angriff in Syrien. Woher kommt diese Überzeugung? Eine Spurensuche.

 Exil-Syrer in Paris demonstrieren gegen den Einsatz von Giftgas in Syrien.

Exil-Syrer in Paris demonstrieren gegen den Einsatz von Giftgas in Syrien.

Foto: afp

In der Nacht hat ein amerikanischer Angriff mit 59 Cruise Missiles, die von zwei Lenkwaffenzerstörern im östlichen Mittelmeer abgefeuert worden, einen Militärflugplatz in Zentralsyrien weitestgehend zerstört. Von hier aus sollen die Flugzeuge abgehoben haben, mit denen am Dienstag der Chemiewaffeneinsatz auf die von Rebellen kontrollierte Stadt Chan Scheichun geflogen wurde. Dass in Chan Scheichun vermutlich ein Nervengift vom Typ Sarin Dutzende Zivilisten getötet hat, gilt inzwischen als unstrittig. Weiter gestritten wird über die Schuld für den Einsatz der international geächteten Massenvernichtungswaffe. Während westliche Staaten das syrische Regime von Diktator Baschar al Assad für das Massaker verantwortlich machen, behaupten Assads Verbündete Russland und Iran, das Giftgas stamme aus einem C-Waffenlabor der Rebellen.

Trotzdem sprechen alle Indizien gegen das Assad-Regime. Nervengift wie Sarin, um das es sich sehr wahrscheinlich gehandelt hat, wurde bisher nur von der syrischen Armee eingesetzt. 2013 starben 1429 Menschen, darunter 426 Kinder, bei einer Sarin-Attacke auf ein von Rebellen gehaltenes Gebiet östlich von Damaskus. Schon damals standen die Amerikaner kurz vor einem Vergeltungsschlag gegen das Assads-Regime, das dann auch unter russischem Druck gezwungen wurde, sein C-Waffenarsenal zu zerstören, darunter 300 Tonnen Nervengas. Ob damals allerdings wirklich alle Bestände vernichtet wurden, ist nicht sicher.

Auch die Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) hat nach UN-Erkenntnissen in Syrien bereits einmal Giftgas eingesetzt (im August 2015), allerdings handelte es sich dabei um das einfacher herzustellende Senfgas. Vermutlich stammten die Substanzen aus dem Irak. Die allermeisten Giftgaseinsätze gehen dagegen auf das Konto der syrischen Armee. 2014 stellen Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPWC) den "systematischen und wiederholten" Einsatz von Chlorgas durch syrische Einheiten gegen Dörfer in Nordsyrien fest. Da Chlor eine auch zivil verwendbare Substanz ist (vor allem zur Desinfektion), steht die Substanz nicht auf der Verbotsliste der Giftstoffe, deren Besitz Syrien untersagt ist. Das macht Chlor zum bevorzugten C-Kampstoff der syrischen Armee; nach UN-Angaben gelten mehrere Angriffe als eindeutig belegt. Allein seit Jahresbeginn soll es laut OPWC mindestens acht solcher völkerrechtswidriger Angriffe auf die Zivilbevölkerung gegeben haben. Das Dementi der syrischen Regierung zum Angriff von Chan Scheichun ist daher wenig glaubwürdig — bisher wurden von Damaskus sämtliche C-Waffenangriffe, auch die bislang vier von der Uno offiziell dokumentierten, stets dementiert.

Der Angriff dort traf wie schon in früheren Fällen ein von Rebellen kontrolliertes Gebiet und zwar allem Anschein nach aus der Luft. Zu Luftangriffen sind jedoch nur Syrer und Russen in der Lage, Assads Gegner verfügen über keine Flugzeuge und auch über keine schwere Artillerie. Auch der UN-Syrien-Sonderbeauftragte Staffan De Mistura betonte ausdrücklich, dass der Giftgas-Angriff aus der Luft durchgeführt worden sei.

Die nachgeschobene russische Erklärung, es sei ein Giftgasdepot der Rebellen getroffen worden, ist unglaubwürdig: Nervengifte sind binäre Waffen, deren Komponenten aus Sicherheitsgründen erst kurz vor dem Einsatz gemischt werden — so etwas liegt in größeren Mengen in keinem Depot. "Ausgemachter Blödsinn", sei diese Begründung bestätigt der französische C-Waffe-Experte Olivier Lepick. Wäre tatsächlich ein Waffenlabor getroffen worden, wären die Giftstoffe durch die Hitze zum größten Teil sofort zerstört worden, erklärt Lepick. Außerdem weise die große Anzahl der Opfer darauf hin, dass da nicht nur ein paar Substanzen aus einem bombardierten Gebäude entwichen seien, sondern, dass die tödliche Mischung gezielt mit einem Gefechtskopf auf eine große Fläche verteilt wurde.

Bleibt die Frage nach dem Motiv: Warum sollte Assad das Risiko eingehen, international geächtete Waffen einzusetzen, wohl wissend, dass er damit weltweite Empörung auslösen wird - zumal Assads Truppen militärisch auf dem Vormarsch sind? Doch möglicherweise hält sich der von Russen und Iranern gestützte Diktator inzwischen für unantastbar. Zu häufig sind auf die von seinem Regime verübten Grausamkeiten keine Reaktionen erfolgt. Und erst vor wenigen Tagen hatte die neue US-Regierung sogar erstmals anklingen lassen, man bestehe nicht mehr auf einen Machtverzicht Assads, sondern sei in Anerkennung der politischen Realitäten und im übergeordneten Interesse des Kampfes gegen den IS bereit, sich mit dem Diktator zu arrangieren. Erst im Februar hatten Russland und China im UN-Sicherheitsrat eine Resolution blockiert, die dem syrischen Regime im Falle weiterer C-Waffeneinsätze mit Sanktionen drohte. Das alles mag Assad als Freibrief interpretiert haben.

In der Provinz Idlib steht zudem eine weitere Bodenoffensive der syrischen Armee bevor. In dem angegriffenen Sektor hatten Rebellenverbände zuletzt wieder Geländegewinne erzielt. Allerdings haben C-Waffen nur geringen militärischen Wert. Sie dienen eher der Terrorisierung der Zivilbevölkerung und sollen diese zur Flucht bewegen — das wäre ein taktisches Motiv. Für weitaus entscheidender halten Beobachter aber Assads strategisches Interesse, mögliche Friedensverhandlungen zu sabotieren. Denn an deren Ende müsste sich der Diktator - allen heutigen Treueschwüren seiner Verbündeten zum Trotz — wohl von der Macht verabschieden. Indem er den Konflikt mit dem Gebrauch geächteter Waffen eskaliert, verhindert Assad aus seiner Sicht alle denkbaren Alternativen zu dem von ihm angestrebten militärischen Sieg im Bürgerkrieg und macht sich für Russen und Iraner auf unabsehbare Zeit politisch unersetzlich.

(bee)
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