Parlamentswahlen in Ägypten Salafisten machen Muslimbrüdern Konkurrenz

Alexandria · Mit den ultrakonservativen Salafisten hat bei der ersten freien Parlamentswahl in Ägypten eine neue Kraft die politische Bühne betreten, mit der noch zu rechnen sein dürfte. Erste Teilergebnisse nach der ersten Abstimmungsrunde verorteten die von den Strenggläubigen gegründete Nur-Partei am Mittwoch in Kairo, Alexandria und anderen Städten an zweiter Stelle, hinter der Muslimbruderschaft und vor dem liberal-weltlichen Ägyptischen Block.

 Der Andrang bei den ägyptischen Parlamentswahlen war enorm.

Der Andrang bei den ägyptischen Parlamentswahlen war enorm.

Foto: dapd, Maja Hitij

Vor vielen Wahllokalen in ihrer Hochburg Alexandria hatten Salafisten, leicht erkennbar an den langen Bärten der Männer und der Komplettverhüllung der Frauen, schon vor der Öffnung Schlange gestanden. Verschleierte Frauen mit Handschuhen verteilten Flugblätter von Nur (arabisch für: das Licht). "Wer sich vor den Salafisten fürchtet, weiß nicht, wer wir sind", beteuerte die 43-jährige Um Ibrahim. "Die Nur-Partei versteht den Glauben so, wie Gott gewollt hat, und sie wird uns recht leiten."

Ein gutes Abschneiden islamistischer Parteien, allen voran der Muslimbruderschaft als größter und am besten organisierter Bewegung, war erwartet worden. Nach dem Sturz Husni Mubaraks entstanden aber auch viele salafistische Parteien, die das Quasi-Monopol der Muslimbrüder im religiösen Lager herausfordern und noch stärker als diese auf islamistischem Kurs liegen.

Schleier für die Meerjungfrau

Gegen ihre Ideologie wirken die Muslimbrüder noch gemäßigt.
Salafisten hängen einer strengen Auslegung des Islams nach saudi-arabischem Vorbild an, die die Scharia kompromisslos wörtlich nimmt und unter anderem eine strikte Trennung der Geschlechter verficht. Am Konzept der Demokratie haben sie auszusetzen, dass das Gesetz der Menschen über das Gesetz Gottes gestellt werde.

In einem Land, in dem selbst die Frommen gewöhnlich eher locker drauf sind, machte die Unverblümtheit der Salafisten im Wahlkampf so manchen sprachlos. Bei einer Kundgebung in Alexandria verhüllten sie eine Statue mit Stoff, weil darauf auch Meerjungfrauen zu sehen waren. Ein salafistischer Politiker weigerte sich so lange, in einer Fernsehtalkshow aufzutreten, bis die Moderatorin ein Kopftuch aufsetzte; ein anderer verlangte eine Trennwand zwischen sich und einem weiblichen Gast. An einer Universität im Nildelta platzte neulich ein Scheich in ein Konzert, stürmte auf die Bühne und verkündete laut, Musik sei "haram" - unrein.

Doch die Salafisten sind auch ein Beispiel dafür, weshalb so viele die Islamisten gut finden. Sie tun sich - anders als die Liberalen - in Wohltätigkeit und Sozialarbeit hervor, bieten den Armen kostenlose medizinische Versorgung und Bildung. Während die Liberalen die Verhängung des islamischen Rechts befürchten, sieht manch anderer in einem islamistischen Kandidaten einen anständigen, wahrscheinlich eher nicht korrupten Menschen. "Ich bin eine geschiedene Frau, und die Kandidaten der Nur-Partei haben mir immer finanziell geholfen, auf eigenen Füßen zu stehen", erklärt die 52-jährige Horreja Attia, die zwei Kinder hat. "Den Gefallen an der Wahlurne zu erwidern, ist das Mindeste, was ich tun kann."

Frei von Altlasten

In Alexandria kandidiert die Partei für 22 der 24 zu vergebenden Parlamentssitze und rechnet sich bei 15 gute Chancen aus. Den Salafisten komme ihre politisch weiße Weste zugute, erklärte der Nur-Kandidat Jasser Abdel Kaui. "Diejenigen, die unter dem vorigen Regime in der Politik mitgemischt haben, galten immer als besudelt durch den Schmutz des alten Regimes. Doch die Salafisten kommen nach fast 30 Jahren reiner Wohltätigkeit und Sozialarbeit in die Politik, ohne diesen schlechten Ruf. Deshalb vertrauen uns die Leute mehr."

Islamisten, für die bei früheren Wahlen die Muslimbruderschaft die einzige Option war, haben jetzt eine Alternative. Auch die 21-jährige Nevine Sameh sagt, sie habe sonst die Bruderschaft gewählt. "Aber ich war schon immer Salafistin, und die Nur-Partei liegt mir mehr."

(APD)
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