Wladimir Putin kämpft mit Kritikern und Gerüchten Russlands starker Mann schwächelt

Moskau · Eigentlich steht Wladimir Putin im Zenit seiner Macht. Doch es rumort im Riesenreich – die Dekadenz der Eliten gerät außer Kontrolle.

Putin inszeniert seine Amtseinführung
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Eigentlich steht Wladimir Putin im Zenit seiner Macht. Doch es rumort im Riesenreich — die Dekadenz der Eliten gerät außer Kontrolle.

Am letzten Arbeitstag dieses Jahres herrscht Tauwetter in Moskau. Der Schnee der vergangenen Kältewochen schmilzt dahin. Politisch jedoch weht ein eiskalter Wind: Kremlchef Wladimir Putin unterzeichnet ein anti-amerikanisches Gesetz.

Künftig ist es Bürgern der Vereinigten Staaten verboten, russische Waisenkinder zu adoptieren. Putin beeilt sich mit der Unterschrift. Keine 24 Stunden sind vergangen, seit das Gesetz das Parlament passiert hat.

Putin empört Kinderlobby

Es ist der Moment, in dem der Kremlherrscher eine Chance verpasst, sich als weiser Staatsmann zu zeigen. Das Adoptionsverbot ist selbst innerhalb seiner Regierung umstritten, die russische Kinderlobby ist empört, die Opposition übt scharfe Kritik.

Das Gesetz ist eine Retourkutsche auf Kosten der Schwächsten. Mit dem Adoptionsverbot will sich Russlands politische Elite für das amerikanische Magnitski-Gesetz rächen. Demnach droht russischen Staatsdienern ein Einreiseverbot, wenn sie an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren.

Der Anwalt Sergej Magnitski war 2009 qualvoll in russischer Untersuchungshaft gestorben. Menschenrechtler gehen davon aus, dass ihm medizinische Hilfe absichtlich verweigert wurde. Schon werden auch in Deutschland politische Stimmen laut, die Konsequenzen gegen Russland fordern, etwa Einreiseverbote.

Adoptionsverbot "widerlich"

Laut Angaben des Kinderhilfswerks Unicef leben in Russland 740.000 Jungen und Mädchen ohne Eltern. In den Waisenhäusern herrschen oft schreckliche Zustände. Mehr als 60.000 russische Kinder wurden in den vergangenen 20 Jahren von Amerikanern adoptiert. Viele davon waren krank oder behindert. Die russische Menschenrechtlerin Ljudmila Aleksejewa nannte das Gesetz über das Adoptionsverbot "widerlich".

Selbst Putins Außenminister Sergej Lawrow gab zu bedenken, es könne gegen die russische Verfassung und internationale Abkommen verstoßen. Doch Putin bleibt stur — selbst das Argument, gerade für kranke oder behinderte Waisen sei eine US-Adoption oft die einzige Chance, kann ihn nicht rühren.

"In der Welt gibt es bestimmt viele Orte, wo der Lebensstandard höher ist als bei uns. Na und? Schicken wir etwa alle unsere Kinder dorthin?", ereifert sich der Präsident. Und rechtfertigte so ein Gesetz, auf das viele Russen mit Abscheu reagieren.

PR-technisch unglücklich

Unter PR-Gesichtspunkten ist das ein unglücklicher Schachzug. Es läuft eben nicht gut für Wladimir Putin in seiner dritten Amtszeit. Dabei steht Russlands starker Mann eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Im nunmehr 13. Jahr bestimmt er die Geschicke seines Landes. Im vergangenen März wurde er wieder zum Präsidenten gewählt. Mindestens bis 2018, möglicherweise sogar bis 2024 wird Wladimir Putin Russland regieren.

Doch das Jahr seiner Wiederwahl war auch das Jahr der größten Proteste seit der Jelzin-Ära. Bis zu 100.000 Menschen gingen in Moskau auf die Straße, um gegen gefälschte Wahlen zu demonstrieren. Putin ignorierte die wachsende Proteststimmung. Und kaum war er wieder in den Kreml eingezogen, verabschiedete die Duma, das russische Parlament, eine ganze Serie repressiver Gesetze.

Das Demonstrationsgesetz wurde verschärft, Nicht-Regierungsorganisationen mit Finanzierung aus dem Ausland müssen sich jetzt als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Gegen alle Anführer der Protestbewegung ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft.

Putin will Stärke zeigen

Putin will Stärke zeigen. Doch stattdessen machen Gerüchte über seine Schwäche die Runde. Der 60-Jährige soll an starken Rückenschmerzen leiden. Möglicherweise eine Folge seines letzten Macho-Auftritts: Im September lenkte Putin ein Ultraleichtflugzeug über die Weiten Sibiriens, um Kranichen den Weg zu zeigen.

Bei der Landung soll er sich die Wirbelsäule verletzt haben. Der Kreml dementiert, aber Putin musste in den vergangenen Monaten mehrere Dienstreisen und öffentliche Auftritte absagen. "Chronische Schmerzen verändern den Menschen", warnt das kremlkritische Magazin "Nowoe Wremja" und druckt Ärztemeinungen zum Rücken der Nation.

Während der Chef schwächelt, wird den Russen immer bewusster, dass sich in den 13 Jahren der Putin-Herrschaft eine schamlos korrupte, arrogante und abgehobene Machtelite gebildet hat. Die Dekadenz der Mächtigen kennt kaum noch Grenzen.

Trunkenheit am Steuer

Da posiert Regierungschef Dmitri Medwedew, Putins Nachfolger und zugleich Vorgänger als Präsident, für einen Fernsehspot in einem sündhaft teuren Geländewagen und fordert allen Ernstes, Trunkenheit am Steuer mit einer Geldstrafe von 12.000 Euro zu ahnden. Die meisten Russen verdienen so viel nicht im ganzen Jahr.

Medwedews Stellvertreter, der für den Rüstungssektor zuständige Dmitri Rogosin, will dagegen in einem fünf Tonnen schweren Panzerwagen des Typs "Tigr" zur Arbeit fahren und empfiehlt das auch seinen Kollegen. Und während sich manche Russen fragen, ob sie nicht eigentlich von Halbirren regiert werden, entdecken Fahnder bei einer Razzia in der 13-Zimmer-Wohnung der Geliebten des Verteidigungsministers mehr als 1500 Schmuckstücke im Wert von mehreren Millionen Dollar.

Wie diese Elite über das eigene Volk denkt, verriet kürzlich der Nachwuchs-Parlamentarier Ilja Kostunow: "In der Duma ist der allerdümmste Abgeordnete noch klüger als der Durchschnittsbürger", tönte der 32-Jährige, der für die Kremlpartei "Geeintes Russland" im Parlament sitzt. Kostunow musste sich für seine Äußerung vor der Ethik-Kommission der Duma verantworten. Er wurde freigesprochen.

(RP/nbe/das)
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