Internationaler Gerichtshof in Den Haag Russland verweigert Teilnahme an Völkermord-Anhörung

Den Haag · Ukrainische Vertreterinnen erheben am Internationalen Gerichtshof in Den Haag schwere Anschuldigungen gegen Russland. Damit wird nun auch das internationale Rechtssystem auf die Probe gestellt.

 Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag findet derzeit die Anhörung um die Vorgänge in der Ukraine statt.

Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag findet derzeit die Anhörung um die Vorgänge in der Ukraine statt.

Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Mit eindringlichen Apellen der ukrainischen Delegation begannen am Montag die Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die ukrainische Regierung hatte diesen kurz nach Beginn der russischen Invasion angerufen um mit vorläufigen Maßnahmen ein Ende des Kriegs zu erwirken. Oksana Zolotaryova, Vertreterin der Ukraine am höchsten juridischen Organ der UN, erklärte in ihrem Abschluss- Statement: „Die Ukraine benötigt mehr Unterstützung von ihren Alliierten in aller Welt. Das schließt dieses Gericht mit ein.“

Die geforderten Maßnahmen beinhalten ein sofortiges Aussetzen der russischen Militär- Operationen, deren selbst- erklärtes Ziel das Verhindern eines angeblichen Genozids in den ukrainischen Oblasten Luhansk und Donezk ist. Zudem sollen militärische oder irreguläre  bewaffnete Einheiten keine weitere Schritte gegen die Ukraine unternehmen, um besagten vermeintlichen Genozid zu verhindern oder strafen.  Die Russische Föderation soll sich weiterer eskalierender Schritte enthalten und den Gerichtshof fortan mit regelmäßigen Reporten darüber informieren, wie sie dessen Urteil implementiert.

Die leeren Plätze, auf denen die russische Delegation hätte Platz nehmen sollen, standen in deutlichem Kontrast zu diesen Zielen. „Dass die Stühle leer sind, spricht Bände“, so der ukrainische Gesandte Anton Korynevych. „Sie sind nicht hier im Gericht, sondern auf dem Schlachtfeld und führen einen Angriffskrieg gegen mein Land.“

Der Gerichtshof will sein Urteil „so schnell wie möglich“ treffen, einen Termin gibt es dafür aber bislang nicht. Eine Aussprache des International Court of Justice ist theoretisch bindend, aber in der Praxis leisten verurteilte Staaten dem längst nicht immer Folge. Auch im Fall der russischen Föderation wäre dies überraschend. Das Gericht könnte die Sache dem UN- Sicherheitsrat vorlegen, der auf dem Papier die Implementierung des Urteils beschließen kann. Auch das allerdings ist wegen eines möglichen russischen Veto sehr unwahrscheinlich.    

Im Zentrum der Anhörungen am Montag stand die 1948 beschlossene UN-Konvention zur Prävention und Bestrafung von Genozid. Der Kreml rechtfertigt die  sogenannte „Spezial-Militär- Operation” in der Ukraine mit der Behauptung, der russischsprachigen Bevölkerung in Luhansk und Donezk drohe seitens der ukrainischen Regierung ein Völkermord. „Eine groteske Lüge“, so der Anwalt David Zionts. Zions argumentierte, die russische Strategie der militärischen Aggression, kaschiert mit dem Schutz angeblich bedrohter Bevölkerungsgruppen, folge dem von Krim und Donbass bekannten Muster. „In den acht Jahren seither gab es keinen einzigen Hinweis auf Genozid.“

Seine Kollegin Marney Cheek folgerte: „Das Auftreten der Russischen Föderation stellt die Genozid- Konvention auf den Kopf. Sie missbraucht die Rechte, die dieses Abkommen bietet.“ Die übrigen Mitglieder der ukrainischen Delegation illustrierten in der Folge, dass die russische Invasion mit “weitverbreiteten”  Kriegsverbrechen zu humanitären und ökologischen Katastrophen führe und umgehend gestoppt werden müsse. Besonders eindringlich war der Appell von Harold Hongju Koh: „Dieser Fall ist ein Test, wer sich durchsetzt: Russland oder die internationale Nachkriegs- Ordnung? Dies ist genau das, was unser Rechtssystem verhindern soll. Wozu haben wir diese Institutionen, wenn sie angesichts solch klarer Aggression nicht deutlich Stellung beziehen?“

Eine Gerichtsentscheidung wird binnen weniger Tage erwartet. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich Russland an den Beschluss hält.

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