Berichterstattung aus dem Exil Russland verbietet Onlinezeitung „Meduza“

Moskau · Berichte über die Ukraine oder die Wagner-Söldner will der Kreml mit allen Mitteln unterbinden. Der Zugang zur Onlinezeitung „Meduza“ ist bereits zensiert, die Redaktion musste nach Lettland fliehen. Nun droht auch Lesern und Interviewten die Strafverfolgung.

 Das Logo der App des Nachrichtenportals „Meduza“ auf einem Telefon (Symbolbild).

Das Logo der App des Nachrichtenportals „Meduza“ auf einem Telefon (Symbolbild).

Foto: AFP/-

Russland hat das populäre und regierungskritische Nachrichtenportal „Meduza“ als „unerwünschte Organisation“ eingestuft und damit faktisch verboten. Das teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Das unabhängige Medium, das detailliert über Russlands Krieg gegen die Ukraine berichtet, war bereits im Jahr 2021 von den Behörden als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt worden. Kurz nach dem von Präsident Wladimir Putin angeordneten Einmarsch ins Nachbarland vor elf Monaten wurde dann auch die Internetseite blockiert, die seither für russische Leser nur noch über den Umweg eines sogenannten VPN-Tunnels erreichbar ist.

Die Einstufung als „unerwünschte Organisation“ kann für Leser nun gravierende Folgen haben, wie die ins EU-Land Lettland geflohene Redaktion mitteilte. Konkret drohe etwa eine strafrechtliche Verfolgung für das Teilen von „Meduza“-Artikeln in sozialen Netzwerken, für Spenden und für Interviews mit den Reportern der Zeitung. Auch in Russland verbliebene „Meduza“-Journalisten seien in Gefahr.

Trotz der enormen Repressionen solle die Arbeit fortgesetzt werden, betonten die Journalisten. „Meduza“ zählt für viele Russen zu den wichtigsten Quellen für unabhängige Ukraine-Berichterstattung. Die Mitgründerin von „Meduza“, Galina Timotschenko, wurde 2022 mit der Auszeichung „European Journalist of the Year“ geehrt. Sie hatte die Onlinezeitung gegründet, nachdem sie wegen ihrer kritischen Berichterstattung über die illegale Annektion der Krim 2014 auf Druck von Putin ihren Posten als Chefredakteurin des einflussreichen russischen Nachrichtenportals lenta.ru verloren hatte und nach Lettland gezogen war.

„Wir würden gerne sagen, dass wir keine Angst haben und dass wir auf den neuen Status pfeifen - aber das stimmt nicht“, heißt es am Donnerstag in der Redaktionsmitteilung. „Wir haben Angst um unsere Leser. Wir haben Angst um diejenigen, die viele Jahre lang mit „Meduza“ zusammengearbeitet haben. Wir haben Angst um unsere Verwandten und Freunde.“

Ebenfalls am Donnerstag teilte der Herausgeber der Website Mediasona, die über die russische Justiz berichtet, mit, er sei in Abwesenheit wegen „Verbreitung falscher und verleumderischer Informationen über das russische Militär“ angeklagt worden. Die Anklage gegen Pjotr Werzilow geht zurück auf Beiträge in sozialen Medien, in denen er sich zur Lage in der ukrainischen Stadt Butscha äußerte.

Nach dem Abzug der russischen Truppen waren dort Leichen von Hunderten Zivilisten gefunden worden. Viele der Opfer schienen hingerichtet worden zu sein. Russland behauptet, die ukrainischen Behörden hätten die Opfer inszeniert. Der russische Untersuchungsausschuss erklärte, durch Werzilows Äußerungen hätte unter den Bürgern eine „falsche Meinung“ zu den Zielen des Militäreinsatzes in der Ukraine entstehen können, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtete.

Ein nach dem Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow benanntes Menschenrechtszentrum teilte am Donnerstag mit, die Moskauer Stadtverwaltung habe es zur Räumung aufgefordert. Die Mietverträge für das Grundstück mit Kulturzentrum und Museum sowie dem Sacharow-Archiv seien gekündigt worden. Das Zentrum ist benannt nach dem sowjetischen Atomphysiker und Dissidenten, der 1975 den Friedensnobelpreis erhielt.

„Die Insel der Freiheit ist im modernen Russland unmöglich, das sich nicht nur vom Erbe Sacharows, sondern auch von der gesamten einheimischen Tradition des Humanismus und des Strebens nach Wahrheit und Gerechtigkeit abgewandt hat“, teilte das Zentrum mit.

Erst am Mittwoch hatte ein russisches Gericht die älteste Menschenrechtsorganisation des Landes, die Moskauer Helsinki-Gruppe, geschlossen. Sie war 1976 gegründet worden, noch zu Zeiten der Sowjetunion.

(peng/dpa)
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