Protest gegen Putins Teilmobilmachung Mehr als tausend Russen festgenommen - Sturm auf Auslandsflugtickets

Update | Moskau · Putins Ankündigung der Teilmobilisierung von Russlands Streitkräften sorgt nicht nur international für Reaktionen, sondern auch im eigenen Land. Einige Russen protestieren - andere versuchen zu fliehen.

 Polizeibeamte nehmen in Moskau eine Person fest, nachdem sie an Protesten gegen die von Präsident Wladimir Putin angekündigte Teilmobilisierung teilgenommen hatte.

Polizeibeamte nehmen in Moskau eine Person fest, nachdem sie an Protesten gegen die von Präsident Wladimir Putin angekündigte Teilmobilisierung teilgenommen hatte.

Foto: AFP/ALEXANDER NEMENOV

Die unabhängige Menschenrechtsgruppe OVD-Info geht inzwischen von mehr als 1311 Festnahmen bei Protesten gegen die Teilmobilisierung in Russland aus. Bis zum Abend seien Angaben aus 38 Städten zusammengetragen worden, teilt die Gruppe mit. Darunter seien mindestens 502 Festnahmen in Moskau.

Die Regierung spielte die Proteste umgehend herunter. Eine Vertreterin des Innenministeriums sagte russischen Medien zufolge, es habe in einigen Regionen Versuche einer „extrem kleinen Zahl von Teilnehmern“ gegeben, nicht autorisierte Aktionen vorzunehmen. „Diese wurden alle unterbunden.“

Bereits am frühen Mittwochabend hatte das Bürgerrechtsportal OVD-Info von Demonstrationen berichtet. In Moskau und St. Petersburg, den beiden größten Städten des Landes, gab es demnach die größten Kundgebungen. In Moskau forderten die Menschen in Sprechchören ein „Russland ohne Putin“.

In Tomsk und Irkutsk in Sibirien, in Jekaterinburg am Ural und an anderen Orten gingen demnach vereinzelt Menschen auf die Straße. Sie hielten Plakate mit den Farben der ukrainischen Flagge und Sprüchen wie „Nein zur Mobilisierung!“ in die Höhe. Angesichts massiver staatlicher Repressionen in Russland dürften die Proteste aber wohl nicht allzu groß ausfallen.

In Moskau etwa warnten die Behörden noch vor Beginn einer geplanten Demonstration nachdrücklich vor einer Teilnahme: Die Staatsanwaltschaft drohte den Menschen mit bis zu 15 Jahren Haft. Seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine vor knapp sieben Monaten geht die russische Staatsmacht unter anderem mit verschärften Gesetzen hart gegen Oppositionelle und Kriegsgegner vor.

Am Mittwochmorgen hatte Präsident Putin bei einer Ansprache im Fernsehen die Teilmobilisierung von Russlands Streitkräften befohlen. Insgesamt 300 000 Reservisten sollen zum Kampf gegen die Ukraine eingezogen werden. Hintergrund dürften personelle Schwierigkeiten Russlands bei dem am 24. Februar begonnenen Angriffskrieg sein.

Auslandsflugtickets heiß begehrt

Kurz nach der von Präsident Wladimir Putin verkündeten Teilmobilmachung hat in Russland ein Sturm auf Auslandsflugtickets eingesetzt. Plätze für Flüge der Gesellschaft Air Serbia von Moskau nach Belgrad waren am Mittwoch auf Tage hinaus ausgebucht. Der Preis für One-Way-Tickets von Moskau nach Istanbul oder Dubai schoss binnen Minuten auf 9200 Euro in der Economy-Klasse. Viele fürchteten, die Behörden könnten die Grenzen für Männer im wehrfähigen Alter schließen oder die Teilmobilmachung ausweiten.

Putin hatte zwar betont: „Nur die Bürger, die sich derzeit in der Reserve befinden, werden der Wehrpflicht unterliegen.“ Und Verteidigungsminister Sergej Schoigu versicherte, die 300 000 Reservisten, die eingezogen würden, seien nur etwa ein Prozent der Männer die für eine Einberufung in Frage kämen. Doch viele Russen trauten dem offenbar nicht, zumal es widersprüchliche Angaben gab und Einzelheiten offenblieben.

So versicherte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der russischen Duma, Andrej Kartapolow, Medienberichten zufolge, die Behörden würden keine zusätzlichen Beschränkungen für Auslandsreisen von Reservisten erlassen. Gleichzeitig riet er jedoch Männern, die für eine Einberufung infrage kommen könnten, nicht in der Türkei Urlaub zu machen, sondern in der südrussischen Region Krasnodar oder auf der annektierten Krim.

Anti-Kriegs-Gruppen berichteten, Flugtickets ins Ausland seien wegen der großen Nachfrage unerschwinglich oder gar nicht mehr zu haben. Die in Serbien beheimatete Gruppe Russen, Belarussen, Ukrainer und Serben gemeinsam gegen den Krieg twitterte, Flüge von Russland nach Belgrad seien bis Mitte Oktober ausgebucht. Auch Verbindungen in die Türkei, nach Georgien und Armenien seien ausverkauft. „Alle Russen, die in den Krieg wollten, sind schon dort“, erklärte die Gruppe, „Niemand anders will dorthin.“

Im Internet kursierten Schilderungen über Panik. Es gab Berichte, dass Menschen an der Grenze zu Georgien zurückgeschickt worden seien. Die Webseite der russischen Staatsbahn sei zusammengebrochen, weil dort so viele Menschen nach Möglichkeiten für Reisen ins Ausland gesucht hätten. Außerdem gab es Tipps, wie man sich vor einer Einberufung zur Armee drücken könne.

Die serbische Hauptstadt Belgrad ist schon seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar ein beliebtes Reiseziel von Russen, die ihre Heimat verlassen wollen. Serbien ist eines der wenigen Länder, die sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben. Russen, die dort hinreisen wollen, benötigen kein Visum. Seit Beginn des Krieges haben sich bis zu 50 000 Russen nach Serbien abgesetzt. Viele haben Geschäfte eröffnet, insbesondere auf dem IT-Sektor.

(peng/mzu/AFP/Reuters)
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