Zusammen mit China Veto eingelegt Russland lässt Syrien-Resolution platzen

New York · Die Vetomächte Russland und China haben im Weltsicherheitsrat auch einen überarbeiteten Resolutionsentwurf zu Syrien abgelehnt. Vor der Abstimmung am Samstag lief die Diplomatie heiß. Am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz versuchten Bundesaußenminister Guido Westerwelle und seine US-Kollegin Hillary Clinton, Russland umzustimmen.

Homs - Bilder aus der Stadt des Todes
13 Bilder

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Der russische Außenminister Sergej Lawrow pochte jedoch auf Änderungen am Resolutionsentwurf. Unterdessen berichteten Menschenrechtsaktivisten vom schlimmsten Blutbad seit Beginn der Proteste gegen das Regime von Baschar Assad vor elf Monaten. Syrische Sicherheitskräfte hätten in Homs mehr als 200 Menschen getötet, hieß es.

Die syrische Regierung wies die Berichte über einen Angriff auf die Stadt zurück. Entsprechende Medienberichte seien Teil einer "hysterischen Kampagne", die nur zum Ziel habe, die Stimmung im UN-Sicherheitsrat gegen das Assad-Regime vor der entscheidenden Abstimmung weiter aufzuwiegeln.

In der Tat wurde der Tonfall vor der Abstimmung am Samstag in New York deutlich schärfer: US-Präsident Barack Obama forderte den UN-Sicherheitsrat auf, sich der "unerbittlichen Brutalität" Assads zu widersetzen und als glaubwürdiger Anwalt für die Menschenrechte zu agieren. In einer scharf formulierten Erklärung Obamas hieß es am Samstag, Assad habe "Verachtung für menschliches Leben und menschliche Würde" gezeigt. "Assad hat kein Recht, Syrien zu führen, und er hat bei seinem Volk und der internationalen Gemeinschaft jegliche Legitimität verloren."

Lawrow reist am Dienstag nach Damaskus

Lawrow hatte zuvor in seiner Rede zwar eine Zustimmung Russlands zu einer Syrien-Resolution nicht ausgeschlossen. Er kritisierte aber unter anderem, im gegenwärtigen Entwurf werde nur Druck auf die syrische Regierung ausgeübt. Es müsse aber auch dafür gesorgt werden, dass die "bewaffneten Gruppen" in dem Land die Gewalt beendeten.

Lawrow und Geheimdienstchef Michail Fradkow reisen am Dienstag zu Gesprächen mit Assad nach Damaskus. Russische Nachrichtenagenturen zitierten Lawrow am Samstag mit den Worten, Präsident Dmitri Medwedew habe die Reise veranlasst. Moskau hatte vor wenigen Tagen erklärt, das Assad-Regime sei zu einem Dialog mit der Opposition bereit.

Westerwelle verurteilte das Veto von Russland und China. Dieses Verhalten sei eine "Entscheidung gegen die Menschen" in dem Land, sagte er in München. Er schloss zugleich einen neuen Resolutionsversuch nicht aus. Clinton sagte, wer diese Resolution blockiere, mache sich mitverantwortlich für weiteres Blutvergießen und einen Bürgerkrieg in dem Land. "Was muss noch passieren, damit der Sicherheitsrat handelt?", fragte die Top-Diplomatin.

"Homs steht in Flammen"

Syrische Sicherheitskräfte richteten nach Angaben von Aktivisten in der Nacht zum Samstag in der Stadt Homs ein Blutbad mit mehr als 220 Toten an. "Homs steht in Flammen", sagte ein Aktivist der Opposition, der sich in der Nähe der Stadt aufhielt. "Alle Seiten greifen sich gegenseitig an und die Zahl der Opfer ist höher, als man zählen kann."

Mit schwerem Beschuss habe der Angriff begonnen, berichteten Aktivisten, deren Angaben nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden konnten. Allein im Viertel Chaldijeh, das seit elf Monaten einer der Brennpunkte der Protestbewegung gegen Assad ist, habe es an die 140 Tote gegeben, hieß es. Der Beschuss habe die ganze Nacht angedauert, sagte ein Einwohner. "Es gab keinen Anlass, nicht einmal Proteste. Die Menschen haben blanke Angst", sagte er weiter.

"Das ist der schlimmste Angriff seit Beginn des Aufstandes im März", sagte der Leiter des Syrischen Observatoriums für Menschenrechte, Rami Abdul-Rahman. Den Koordinationkomitees zufolge setzten die Regierungstruppen Panzer und schwere Maschinengewehre ein.

Ein Bewohner des Bezirks Bab Tadmur in Homs, Ammar, sagte, die wahre Zahl der Toten liege bei mehr als 330, hunderte weitere Menschen seien verletzt worden. "Wir werden massakriert, worauf wartet der Sicherheitsrat noch?"Zwtl.: Auslöser des Angriffs unklar

Im syrischen Fernsehen hieß es dagegen, diese Berichten seien unwahr und Teil einer "hysterischen Kampagne". Sie stünden im Zusammenhang mit einer "Aufwiegelung von bewaffneten Gruppen" gegen Syrien, die im Sicherheitsrat ausgenutzt werden solle. In Amateurvideos gezeigte Leichen - von Aktivisten als Opfer des Angriffs bezeichnet - seien Menschen, die von "terroristischen bewaffneten Gruppen" entführt worden seien.

Unklar war, was den Angriff auslöste. Es gab aber Berichte, dass Deserteure Kontrollposten in dem Gebiet errichtet haben und versuchen, ihre Macht dort zu konsolidieren.

Die Örtlichen Koordinationskomitees riefen die Bewohner von Homs und der Bewegung zu Blutspenden auf. Außerdem sollten die Menschen Flüchtlinge aus der Stadt bei sich aufnehmen. Demonstranten in der ganzen Welt wurden aufgefordert, vor den syrischen Botschaften zu protestieren.

In Kuwait stürmten Aktivisten die syrische Botschaft und hissten die Fahne der Opposition. Ähnliche Proteste gab es auch in Kairo, wo ein Teil der Botschaft in Brand gesteckt wurde, sowie in Berlin, London und Athen.

Tunesien will als Reaktion auf den blutigen Einsatz der syrischen Streitkräfte in Homs den syrischen Botschafter ausweisen. Aus Kreisen des Präsidentenbüros in Tunis verlautete am Samstag, Tunesien erkenne das Regime Assads nicht länger an.

Seit Beginn der Proteste gegen Assad im März kamen nach UN-Angaben mehr als 5.400 Menschen ums Leben.

Von Marokko eingebracht

"Wir haben so viel versucht, um einen Kompromiss zu finden", sagte Marokkos UN-Botschafter Mohammed Loulichki. Sein Land hatte den von Arabern und Europäern unterstützen Entwurf vorgelegt und auf russisches Drängen immer wieder abgeschwächt. "Wir fühlen furchtbaren Schmerz über die Ereignisse in Syrien", sagte Loulichki. "Gott möge die Opfer segnen. ... Wir bedauern, dass der Rat stumm geblieben ist."

"Wir haben die Menschen in Syrien schon wieder im Stich gelassen", sagte der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig. "Das ist eine schreiende Schande." Das Veto sei nach den hunderten Toten in Homs in der Nacht zuvor und am Jahrestag des Massakers von Hama 1982 mit Zehntausenden Toten eingelegt worden. "Das ist der eigentliche Skandal."

"Ein trauriger Tag"

Sein französischer Amtskollege Gerard Araud sagte: "Das ist ein trauriger Tag für diesen Rat. Das ist ein trauriger Tag für Syrien und es ist ein trauriger Tag für die Anhänger der Demokratie." Präsident Baschar al-Assad morde wie 30 Jahre zuvor sein Vater. "Aber wir werden nicht aufhören. Wir haben nicht das Recht, das syrische Volk im Stich zu lassen." Londons Botschafter Mark Lyall Grant warf Russland und China falsches Spiel vor: "Sie sagen, Sie wollten ein militärisches Eingreifen verhindern. Das hat aber nie jemand gefordert und stand auch nie in irgendeinem Entwurf."

Die deutlichsten Worte kamen von US-Botschafterin Susan Rice: "Wir sind angewidert, dass einige Mitglieder uns davon abhalten, unsere Pflicht zu tun." Russland und China erwähnte sie mit nicht einem Wort, sagte aber: "Dieser Rat wird seit Monaten in Geiselhaft gehalten von zwei Ländern, die nur an ihre eigenen Interessen denken." Der Text sei ganz einfach gewesen, Sanktionen seien nicht einmal erwähnt worden. "Und besonders schändlich ist es, dann auch noch Waffen zu liefern."

"Wir bedauern diesen Ausgang", sagte Russlands Botschafter Witali Tschurkin. "Aber dieser Entwurf war unausgewogen." Er habe sich zu sehr gegen die Regierung in Damaskus gerichtet. Russland habe einen Kompromiss finden wollen. "Aber diese Versuche wurden von Ländern unterlaufen, die zu viel wollten, sogar einen Regimewechsel."

China fordert Ende der Gewalt

Chinas Botschafter Li Baodong forderte ein sofortiges Ende der Gewalt, sagte aber auch: "Die Ordnung in Syrien muss so schnell wie möglich wieder hergestellt werden." China verstehe die Sorge der internationalen Gemeinschaft. "Aber die Souveränität Syriens muss unangetastet bleiben."

Verbittert zeigte sich Human Rights Watch: "Das Veto vor vier Monaten war unverantwortlich", sagte Philippe Bolopion von der Menschenrechtsorganisation. "Das Veto diesmal war schlicht Brandstiftung." Amnesty International nannte das Doppelveto "einen schockierend kaltschnäuzigen Verrat an den Demonstranten".

Russland und China haben bislang jede Kritik des Sicherheitsrats an seinem Verbündeten und Waffenkunden Syrien unterdrückt. Genau vier Monate zuvor hatten Moskau und Peking schon einmal ihr Veto eingelegt, hatten aber noch Unterstützung von Indien, Brasilien, Südafrika und anderen Staaten. Diesmal stimmten alle Staaten für die Resolution, Enthaltungen gab es keine.

In Syrien sollen inzwischen etwa 6000 Menschen getötet worden sein. Erst in der Nacht vor der Abstimmung waren nach Angaben von Aktivisten in der Stadt Homs 300 Menschen getötet worden. Das Regime geht mit militärischer Gewalt gegen alle Kritiker vor - sowohl gegen bewaffnete Aufständische als auch gegen friedliche Demonstranten und Dissidenten. Etwa 400 der Todesopfer sollen Kinder sein.

(APD/dpa)
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