Russischer Oligarch am Verhandlungstisch Rätselraten über Abramowitschs Auftritt bei den Ukraine-Gesprächen

Istanbul · Wegen seiner Putin-Nähe haben die EU und Großbritannien Sanktionen gegen den russischen Oligarchen Abramowitsch verhängt. Nun taucht er bei russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen auf. Was steckt dahinter?

 Roman Abramowitsch (M.) in einem Standbild aus einem von der türkischen Präsidentschaft zur Verfügung gestellten Video der Beratungen in Instanbul.

Roman Abramowitsch (M.) in einem Standbild aus einem von der türkischen Präsidentschaft zur Verfügung gestellten Video der Beratungen in Instanbul.

Foto: dpa/Uncredited

Besitzer eines Fußballvereins. Verbündeter von Wladimir Putin. Mit westlichen Sanktionen belegter Oligarch. Der Russe Roman Abramowitsch hat viele Rollen. Und vielleicht ist jetzt eine neue hinzugekommen.

Der 55-jährige Milliardär hat seinen einstigen Sitz in der Loge des Stadions seines geliebten Fußballklubs Chelsea in Großbritannien mit einem Platz an den Seitenlinien der Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau über ein Ende des Ukraine-Krieges getauscht. Der Öl- und Aluminiummagnat stand am Dienstag im Hintergrund, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen Saal voller Delegationsmitglieder der Konfliktparteien in einem Regierungsgebäude in Istanbul betrat.

Es fiel dem Kremlsprecher Dmitri Peskow zu, darüber aufzuklären, was Abramowitsch dort zu suchen hatte. Nicht, dass er wirklich viel sagte. Abramowitsch habe „gewisse Kontakte zwischen der russischen und ukrainischen Seite sichergestellt“, so Peskow. Aber er sei kein offizielles Mitglied der Delegation. Beide Seiten hätten seiner Rolle zugestimmt.

Der ukrainische Botschafter in Großbritannien, Wadym Prystaiko, sagte indes: „Ich habe keine Ahnung, was Herr Abramowitsch behauptet oder tut. Er ist nicht Teil des Verhandlungsteams.“

Die Gespräche schienen auf den ersten Blick einen gewissen Fortschritt gebracht zu haben. Allerdings hielt sich im Westen tiefe Skepsis, ob Russland wirklich die Kampfhandlungen um Kiew und Tschernihiw reduzieren würde wie versprochen, zumal es dort am Mittwoch nach ukrainischen Angaben neue Bombardements gab.

Abramowitsch zählt zu einer Reihe russischer Oligarchen, gegen die Großbritannien und die EU im Zusammenhang mit der Ukraine-Invasion Strafmaßnahmen verhängt haben. Umso bemerkenswerter war seine Anwesenheit bei den Verhandlungen in Istanbul. Anscheinend hat er Kontakte zu ukrainischen Regierungskreisen auf höherer Ebene parallel zu seinen langjährigen Verbindungen zum Kreml.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am vergangenen Sonntag berichtet, dass die Ukraine von Abramowitsch und anderen „Signale“ mit Hilfsangeboten erhalten habe, gepaart mit Ersuchen, von Sanktionen verschont zu werden. Einige von ihnen hätten ihre Bereitschaft erklärt, beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zu helfen, schilderte Selenskyj und zitierte dann ihre Angebote: „Wir sind bereit, Geld zu geben, wir sind bereit, Unternehmen in der Ukraine anzusiedeln. Wir leben jetzt in England oder in der Schweiz, wir würden es gern tun. Ist es möglich, nicht auf der Sanktionsliste zu stehen?“

Abramowitschs Präsenz in Istanbul war auch deshalb besonders überraschend, weil einen Tag zuvor ein Bericht kursiert war, dem zufolge er möglicherweise bei einer früheren Verhandlungsrunde Anfang März Ziel eines Giftanschlages gewesen sei. Er und zwei ukrainische Delegationsmitglieder sollen entsprechende Symptome aufgewiesen haben, aber alle drei hätten sich davon erholt, hieß es in dem Bericht von Bellingcat.

Eine Bestätigung dafür gab es von keiner Seite. Der Bericht veranlasste aber den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, den ukrainischen Delegationsmitgliedern zu raten, bei den Verhandlungen mit den Russen nichts zu essen oder zu trinken und „vorzugsweise zu vermeiden, irgendwelche Oberflächen zu berühren“. Peskow wies die Darstellung zurück. Der Bericht sei „Teil des Informationskrieges“ und „stehe offensichtlich nicht mit der Realität im Einklang“.

Abramowitsch hatte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ein Vermögen in Russlands Öl-und Aluminiumbranchen angehäuft. 2005 blätterte der staatseigene Energieriese Gasprom einen Milliardenbetrag für die von Abramowitsch kontrollierte Ölgesellschaft Sibneft hin, womit sich der Kreml wieder Einfluss auf die lukrative Energieindustrie sicherte.

Bei seiner Verkündung der Sanktionen gegen Abramowitsch nannte der britische Premierminister den Russen einen „Pro-Kreml-Oligarchen“ mit einem geschätzten Vermögen von umgerechnet knapp elf Milliarden Euro, der für seine Beziehung zu Putin bestraft werden müsse. Abramowitsch wurde auch mit einer „Destabilisierung“ der Ukraine in Verbindung gebracht.

Es war ein weiterer Absturz für diesen Mann, der Chelsea mi Milliardeninvestitionen über 19 Jahre hinweg zu einem prominenten Club im europäischen Fußball gemacht hatte - was ihm die Spitznamen „Chelski“ und „Roman Empire“ eintrug. Er ist gezwungen, den Westlondoner Verein, der in Englands höchster Spielklasse antritt, zu verkaufen, nachdem seine Vermögenswerte als Teil der Sanktionen eingefroren worden sind. Abramowitsch hat gesagt, dass der Erlös aus dem Verkauf, der aber von der Regierung genehmigt werden muss, an eine von ihm gestartete Stiftung für Opfer des Ukraine-Krieges fließen solle.

Seit 2018 war Abramowitsch kaum mehr in Großbritannien. Damals zog er einen Antrag auf Erneuerung seines Visums zurück. Hintergrund war das rigorose Vorgehen der Londoner Regierung gegen reiche Russen im Gefolge eines Giftanschlages auf den früheren russischen Spion Sergej Skripal in der englischen Stadt Salisbury. Großbritannien hat Russland für die Attacke verantwortlich gemacht.

Abramowitsch nahm 2018 die israelische Staatsbürgerschaft an, aber es ist unklar, wie viel Zeit er in dem Land verbringt. Gerüchten zufolge soll er sich seit dem Beginn der Ukraine-Invasion am 24. Februar mehrere Male in Israel aufgehalten haben. Anfang März wurde Abramowitschs Superjacht „Solaris“ vor Anker im Mittelmeerhafen Bodrum in der Türkei gesichtet. Das Nato-Land hat sich bei den Sanktionen gegen Russland nicht den anderen Mitgliedern des westlichen Militärbündnisses angeschlossen.

(peng/dpa)
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