Gegen geplante Rentenreform Mehr als 1,2 Millionen demonstrieren erneut in Frankreich

Paris · Frankreichs Regierung will, dass die Menschen im Land länger arbeiten. Viele finden das Vorhaben ungerecht. Mit Streiks und Protesten verleihen sie ihrem Ärger Ausdruck. Im Parlament geht die Arbeit voran - doch auch dort gibt es noch eine Hürde.

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Landesweit protestieren die Franzosen gegen die Rentenreform

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Foto: dpa/Lewis Joly

In ganz Frankreich haben am Dienstag nach Schätzungen des Innenministeriums rund 1,27 Millionen Menschen gegen die geplante Rentenreform protestiert. Die Zahl der Teilnehmer war damit noch höher als bei früheren Protesten gegen die angekündigte Erhöhung des Renteneintrittsalters - ein Sieg für die Gewerkschaften in der zweiten großen Kraftprobe mit der Regierung.

Die acht Gewerkschaften, die die jüngsten Proteste organisiert hatten, kündigten prompt weitere Demonstrationen für den 7. und den 11. Februar an. „Angesichts der massiven Ablehnung muss die Regierung ihre Reform zurückziehen“, sagte Patricia Drevon von der Gewerkschaft Force Ouvrière. Die Gewerkschaft CGT sprach sogar von 2,8 Millionen Teilnehmern an Protestaktionen in den Städten und Gemeinden. Rund 11 000 Polizisten waren bei schätzungsweise 250 Protesten im ganzen Land im Einsatz.

In der Hauptstadt gingen nach Angaben der Polizei 87 000 Menschen auf die Straße - mehr als die 80 000 beim ersten großen Rentenprotest am 19. Januar, als nach Angaben der Behörden landesweit eine Million Menschen demonstrierten. Die Gewerkschaften sprachen von doppelt so vielen Teilnehmern. Der Demonstrationszug in Paris blieb insgesamt friedlich. Nur vereinzelt kam es zu Zusammenstößen zwischen Vermummten und der Polizei, die gegen Ende der Aktion Tränengas einsetzte. Die Polizei meldete 30 Festnahmen.

Noch am Montag hatte Macron die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre als äußerst wichtig bezeichnet. Premierministerin Elisabeth Borne sagte am Wochenende, das höhere Renteneintrittsalter sei nicht verhandelbar. Die Gewerkschaften wollten das Gegenteil beweisen.

Der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon sprach sogar von „einem historischen Tag“. „Es kommt nicht häufig vor, dass wir so eine Massenmobilisierung erleben“, sagte er in Marseille. „Es ist eine Form von Bürgeraufstand.“

Nach Angaben des Bildungsministeriums blieb ein Viertel der Lehrkräfte dem Unterricht fern. Das waren weniger als beim ersten Protesttag am 19. Januar. Viele Zugverbindungen im Land fielen aus. Bei der Pariser Metro waren etliche Stationen geschlossen, auch hier fuhren viele Züge nicht. Nach Angaben des Energieversorgers EDF zeigten auch deren Beschäftigte ihre Unterstützung für die Streiks und reduzierten vorübergehend die Stromlieferungen. Zu Stromausfällen kam es aber nicht.

Französische Medien berichteten auch über Arbeitsniederlegungen in Ölraffinerien. Der Radiosender France Inter spielte Musik anstelle seiner üblichen morgendlichen Talkshows und entschuldigte sich bei seinen Hörern, weil die Beschäftigten streikten.

Die 60 Jahre alte Beamtin Jamila Sariac sagte, das Rentensystem dürfe nicht angetastet werden. „Der soziale Schutz ist ein Meilenstein unserer Gesellschaft, ein Meilenstein, den die Regierung zerstören will“, sagte sie. Streiks setzten die Regierung wirksamer unter Druck als Demonstrationen. „Wir sind es unseren Älteren schuldig, die zum Wohlstand Frankreichs beigetragen haben.“

Der Protest gegen die geplante Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre schien aber auch entlegenste Winkel zu erfassen: Auf der kleinen bretonischen Insel Ouessant versammelten sich vor dem Bürgermeisteramt am Morgen rund 100 Demonstranten. Bürgermeister Denis Palluel sagte, vor allem Seeleute mit harten Jobs seien gegen die Anhebung des Rentenalters. „In einem angemessenen Alter in Rente zu gehen ist wichtig, weil die Lebenserwartung nicht sehr hoch ist“, erklärte er.

(mzu/dpa)
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