Belgien Regierung Verhofstadt verliert Parlamentswahl

Brüssel (RPO). Die Regierung des belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt hat die Parlamentswahl am Sonntag verloren. Wegen eines Rechtsrutsches im niederländischsprachigen Flandern büßten seine sozialliberale Koalition den Hochrechnungen zufolge ihre Regierungsmehrheit ein.

Beste Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten hat nun der bisherige Regierungschef von Flandern, Yves Leterme. Seine christdemokratische Partei CD&V wurde im Norden mit rund 30 Prozent der Stimmen die mit Abstand stärkste Kraft.

"Ich bin sehr zufrieden. Es ist Zeit für den Wechsel", erklärte Leterme vor jubelnden Anhängern in Brüssel. Sicher ist das Amt des Ministerpräsidenten dem 46-Jährigen allerdings noch nicht: Im französischsprachigen Wallonien ist Leterme ausgesprochen unbeliebt, nachdem er im Herbst öffentlich an der "intellektuellen Fähigkeit" der Wallonen zweifelte, Flämisch zu lernen.

Um auf Bundesebene eine Regierung zu bilden, braucht er aber auch die Unterstützung frankophoner Parteien.

In Wallonien blieben die bislang regierenden Sozialisten und Liberalen die führenden Kräfte. Dies dürfte die Verluste ihrer Schwesterparteien in Flandern, wo rund 60 Prozent der Belgier leben, jedoch nicht ausgleichen. Rein rechnerisch schien eine Erweiterung der bisherigen sozialliberalen Koalition auf eine Ampel unter Einbeziehung der Grünen zwar möglich, angesichts der Verluste vor allem der Sozialisten aber sehr unwahrscheinlich.

Nach den späteren Hochrechnungen vom Sonntagabend verlor die frankophone Sozialistische Partei PS, die während des Wahlkampfs von einem Skandal in ihrer Hochburg Charleroi erschüttert wurde, Stimmen an die Grünen und die liberale Mouvement Réformateur (MR). Flämische Hochrechnungen sahen MR sogar vor der PS, die damit erstmals ihre Führungsrolle in Wallonien verloren hätte.

Die flämischen Sozialisten (SP.A) rutschten von 23,5 Prozent im Jahr 2003 auf höchstens 17 Prozent. Auch Verhofstadts liberaler Partei Open VLD, auf die 2003 rund 25 Prozent der Stimmen in Flandern entfielen, wurde vom flämischen Fernsehen ein Minus von rund sieben Prozentpunkten vorhergesagt. Die Open VLD fiel damit nicht nur hinter die siegreiche CD&V, sondern auch hinter den rechtsextremen Vlaams Belang zurück, dem mindestens 19 Prozent der Stimmen prognostiziert wurden.

Ganz große Koalition oder Jamaika?

Landesweit dürfte die Wahlsiegerin CD&V auf etwa ein Fünftel aller abgegebenen Stimmen kommen. Ihr natürlicher Partner sind die wallonischen Christdemokraten (CDH), die landesweit aber nur drei bis fünf Prozent auf die Waage bringen. Für die Regierungsbildung wird Leterme mindestens die Liberalen als voraussichtlich zweitgrößte Parteifamilie landesweit brauchen. Nach den Hochrechnungen vom Sonntagabend könnte aber auch das knapp werden.

Denkbar wäre deshalb eine Koalition aller drei großen Parteifamilien - also der Christdemokraten, Liberalen und Sozialisten. Als Alternative brachten Kommentatoren eine Jamaika-Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und Grünen ins Gespräch.

Die frankophonen Flügel all dieser Parteien haben im Wahlkampf allerdings Widerstand gegen Letermes Pläne für eine Föderalismusreform angekündigt. Der Ministerpräsident von Flandern bekräftigte am Sonntagabend, er strebe eine noch größere Unabhängigkeit der Regionen an. Die frankophonen Belgier wittern dahinter das Bestreben, die Transferzahlungen ins arme Wallonien einzuschränken.

Sollten die frankophonen Parteien eine Zusammenarbeit mit Leterme ablehnen, so wäre theoretisch auch eine asymmetrische Koalition möglich - also eine Regierung, der auf flämischer Seite andere Parteien angehören als auf wallonischer.

(ap)
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