Trauerfeier für George Floyd Eine tiefe Wunde, die bleibt

Houston · Im Tod wurde George Floyd zum jüngsten Symbol des Rassismus in den USA. Nun nahmen Hunderte Menschen vom Afroamerikaner Abschied. Die tiefe Wunde im Land aber bleibt. Ein politischer Kampf ist auch darum entbrannt, wer sie heilen kann.

Menschen versammeln sich in Houston zur Trauerfeier für George Floyd
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Menschen versammeln sich zur Trauerfeier für George Floyd

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Foto: AP/Godofredo A. Vásquez

Der Sarg glänzt golden vor der Bühne der Kirche „The Fountain of Praise“ in Houston. In ihm liegt der Mann, dessen Namen etliche Amerikaner in den vergangenen zwei Wochen bei den Massenprotesten gegen Rassismus und Polizeigewalt gerufen haben. George Floyds Tod hat die USA im Mark erschüttert wie kaum ein Todesfall der vergangenen Jahrzehnte. In Houston in Texas wuchs der Afroamerikaner auf, dort nahmen nun Tausende von ihm Abschied.

Große Bilder auf der Bühne zeigen ihn mit angedeuteten Engelsflügeln und Heiligenschein. Auch auf zahlreichen Corona-Schutzmasken und Anstecknadeln prangt das Konterfei des „sanften Riesen“ von fast zwei Metern. Viele sind ganz in Weiß gekleidet, andere in Schwarz. Einige tragen Corona-Schutzmasken, auf denen „I Can't Breathe“ steht - Ich kann nicht atmen, die letzten Worte George Floyds, längst auch eine Zustandsbeschreibung der systematisch benachteiligten amerikanischen Minderheiten.

An der Trauerfeier nehmen auch Angehörige anderer Opfer von Gewalt gegen Afroamerikaner in den USA teil, darunter der Vater des im Februar getöteten Joggers Ahmaud Arbery und der Vater des 2014 erschossenen Michael Brown. Die Stimmung ist feierlich und kämpferisch, ganz im Geiste der „Black Lives Matter“-Bewegung. Ein Höhepunkt ist die kurze Ansprache von George Floyds Nichte Brooke Williams: „Keine Hassverbrechen mehr, bitte“, sagt sie ins Mikrofon. Und weiter: „Jemand hat gesagt: "Make America Great Again". Aber wann war Amerika jemals großartig?“ - eine Anspielung auf Präsident Donald Trumps zentralen Wahlkampfslogan 2016. Applaus brandet auf in der Kirche.

Joe Biden, der designierte Präsidentschaftskandidat der Demokraten, wendet sich in einer vorbereiteten, mit Klaviermusik unterlegten Videobotschaft an die Trauernden. Vor allem aber an Floyds sechsjährige Tochter Gianna. „Du bist so mutig, Dein Papa schaut runter und er ist so stolz auf dich. Ich weiß, dass du diese dicke Umarmung vermisst, die nur er geben konnte.“ Wieder Applaus. Biden ruft zur Überwindung des Rassismus auf, zu dem auch Floyds Tod beitragen werde. „Wir können die Wunden dieser Nation heilen.“

Der Bürgermeister von Houston, Sylvester Turner, kündigt bei der Trauerfeier für Floyd ein Verbot von Würgegriffen und andere Maßnahmen gegen Polizeigewalt an. „In dieser Stadt werden wir Deeskalation verlangen. In dieser Stadt wird man eine Warnung geben müssen, bevor man schießt“, sagt Turner. „In dieser Stadt hat man die Pflicht, einzuschreiten.“

Nach der Trauerfeier wird Floyds Sarg zum Friedhof Houston Memorial Gardens in der Nachbarstadt Pearland gebracht. Die Polizei eskortiert den Leichenwagen. Auf der letzten Meile wird der Sarg in einer weißen Pferdekutsche transportiert. Zwei weitere Kutschen folgen. Das Eintreffen des Trauerzugs am Friedhof verfolgen zahlreiche Menschen am Straßenrand. Der Gottesdienst war live übertragen worden, die anschließende Beisetzung erfolgt im Privaten.

Die Familie von George Floyd hatte am Tag zuvor Joe Biden getroffen, der dafür nach Houston gereist war. „Ich denke, was hier passiert ist, ist einer dieser großen Wendepunkte in der amerikanischen Geschichte, was bürgerliche Freiheiten, Bürgerrechte und die gerechte Behandlung von Menschen mit Würde betrifft“, sagte Biden später dem TV-Sender CBS. Der 77-Jährige würde gerne der politische Anführer dieser Bewegung werden, der Heiler einer gespaltenen Nation. In der Gruppe der Afroamerikaner sieht er seinen stärksten Rückhalt für die Wahl im November.

Präsident Donald Trump versucht dagegen, sich den Amerikanern als „Präsident für Recht und Ordnung“ zu präsentieren. Das waren seine Worte am Montag vergangener Woche, als seine Regierung gewaltsam Demonstranten von einem Platz vor dem Weißen Haus vertreiben ließ. Die landesweite Debatte über Polizeigewalt und Rassismus versucht er für seine Zwecke zu nutzen und wirft den „radikalen linken Demokraten“ vor, diese wollten den Sicherheitsbehörden die Finanzen entziehen und die Polizei „abschaffen“.

Tatsächlich finden Forderungen nach einem „Defunding“ der Polizei und einer Umwidmung der Gelder für soziale Projekte zunehmend Widerhall bei den landesweiten Protesten. Unter anderem die großen Polizeien in Los Angeles und New York können sich nach Ankündigung der örtlichen Bürgermeister auf Einschnitte einstellen. Doch weder Biden noch die Demokraten im Kongress wollen die Polizei die Mittel entziehen oder diese sogar auflösen. Sie verlangen Reformen gegen Polizeigewalt.

Diese Gewalt trifft überproportional häufig Schwarze, wie aus Zahlen der „Washington Post“ hervorgeht. Das ist nicht der einzige Beleg dafür, dass die USA systematischen Rassismus noch lange nicht überwunden haben. Schwarze werden Studien zufolge häufiger von der Polizei kontrolliert und werden bei gleichen Straftaten zu höheren Haftstrafen als Weiße verurteilt. Schwarze stellen mehr als ein Drittel aller Häftlinge in US-Gefängnissen, obwohl sie nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Nicht nur im Bereich der Justiz sind Afroamerikaner benachteiligt gegenüber Weißen: Das gilt beispielsweise auch auf dem Arbeitsmarkt und beim Einkommen.

Die Wut über diese Verhältnisse bricht sich nun auf der Straße Bahn. Immer mehr Kritiker werfen Trump vor, das Land inmitten der Proteste zu spalten - darunter auch Trumps Ex-Verteidigungsminister James Mattis und sein früherer Stabschef John Kelly. Auch viele Bürger folgen dem Kurs des Staatsoberhauptes neuen Umfragen zufolge nicht. Seine Zustimmung sinkt, das Verständnis für friedliche Proteste ist demnach hoch.

Trump dürfte es am liebsten sein, wenn die Demonstrationen nach Floyds Beisetzung schnell wieder abebben und der Druck auf ihn wieder nachlässt. Die Demokraten wollen genau das verhindern - sie hoffen für ihre Reformen und strukturellen Änderungen auf die Unterstützung von der Straße.

Am Donnerstag will der Präsident selbst nach Texas reisen - aber nicht, um Floyds Familie persönlich seine Anteilnahme auszudrücken. In Dallas will er ein Essen veranstalten, um Spenden für seine Wiederwahl im November einzusammeln. Laut „Dallas Morning News“ kostet die Teilnahme pro Paar mehr als 500 000 Euro. Am Tag der Trauerfeier in Houston machte Trump indessen Schlagzeilen mit einer Verschwörungstheorie, dass ein 75-Jähriger, der von der Polizei bei einer Demonstration geschubst und verletzt wurde, ein linker Provokateur sein könnte.

(lukra/dpa/)
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