Mehr Angriffe von Russland Raketeneinschlag in Polen wird weiter untersucht

Kiew/Warschau · Der Einschlag einer Rakete in Polen hat Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation des Ukraine-Kriegs geschürt. Die Ermittlungen zu dem Vorfall dauern an, die Ukraine will eigene Experten schicken. Russland setzt seine Raketenangriffe fort.

 Andrzej Duda, Präsident von Polen, hält während seines Besuchs im Dorf Przewodow eine Pressekonferenz.

Andrzej Duda, Präsident von Polen, hält während seines Besuchs im Dorf Przewodow eine Pressekonferenz.

Foto: dpa/Wojtek Jargilo

Nach dem Einschlag einer Rakete auf polnischem Staatsgebiet dauert die Untersuchung des Vorfalls an. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge können Experten seines Landes an den Ermittlungen teilnehmen. Polens Präsident Andrzej Duda äußerte sich nicht explizit dazu.

Russland setzte derweil seine Raketenangriffe auf ukrainische Städte fort. Nach britischen Angaben hat der andauernde Beschuss der Energieinfrastruktur der Ukraine bereits schwere Schäden zugefügt. Das US-Militär schätzt trotz jüngster Erfolge die Wahrscheinlichkeit eines kurzfristigen Sieges der Ukraine als nicht sehr hoch ein. In der zurückeroberten Stadt Cherson fand die Ukraine Hinweise auf mutmaßliche Verbrechen russischer Soldaten. Das Getreideabkommen der beiden Kriegsparteien zum sicheren Export ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer wurde derweil verlängert.

Selenskyj: Ukrainische Fachleute können Raketeneinschlag untersuchen

Polen, die Nato und die USA gehen davon aus, dass eine ukrainische Rakete des Flugabwehrsystems S-300 einen russischen Marschflugkörper verfehlte und das polnische Dorf Przewodow traf. Selenskyj blieb bei seiner Behauptung, am Dienstag sei eine russische Rakete in dem grenznahen Ort eingeschlagen.

„Solange die Untersuchung nicht abgeschlossen ist, können wir nicht mit Sicherheit sagen, welche Raketen oder deren Teile auf polnisches Hoheitsgebiet gefallen sind“, sagte Selenskyj am Donnerstag vor Teilnehmern eines Wirtschaftsforums in Kiew. Aus Polen sei die Bestätigung gekommen, dass ukrainische Fachleute an der Untersuchung teilnehmen dürften.

Bei einem Besuch der Einschlagsstelle wies Polens Präsident Duda darauf hin, dass es bestimmte Formalitäten des internationalen Rechts gebe, bevor ukrainische Ermittler dort an den Untersuchungen teilnehmen könnten. Zuvor hatte Polen Bereitschaft signalisiert, ukrainischen Spezialisten Zugang zu dem Ort zu gewähren - wenn die US-Ermittler dort keine Einwände hätten.

Erneut Raketenangriff auf ukrainische Städte

In der gesamten Ukraine gab es am Donnerstag wieder Luftalarm. Nach offiziellen Angaben beschoss Russland erneut mehrere Städte mit Raketen. Über der Hauptstadt Kiew waren Explosionen zu hören, die von Flugabwehrfeuer stammten. Vier russische Marschflugkörper seien im Anflug auf die Stadt abgeschossen worden, teilte die Stadtverwaltung nach Ende des Luftalarms mit. Auch fünf Kampfdrohnen des iranischen Bautyps Schahed-136 seien abgefangen worden, einige von ihnen über dem Stausee nördlich der Hauptstadt.

Selenskyj verbreitete auf Telegram ein Video, das zeigen soll, wie eine Rakete im Straßenverkehr von Dnipro einschlägt. Regierungschef Denys Schmyhal sagte nach Medienberichten, der Angriff habe einem Gasförder-Betrieb sowie dem Raketenbaukonzern Piwdenmasch gegolten.

Großbritannien: Russische Raketenangriffe treffen Ukrainer schwer

Nach britischer Einschätzung treffen die Angriffe die ukrainische Energieinfrastruktur zum Einbruch des Winters schwer. Die Zerstörung der Infrastruktur sei zu einem Kernbestandteil des russischen Kriegs geworden, hieß es in London. Setze Russland aber die Attacken in diesem Umfang fort, habe das erheblichen Einfluss auf seine Reserven an konventionellen Marschflugkörpern.

„Obwohl ein großer Teil der Raketen erfolgreich abgefangen wurde, steht die Ukraine vor einem erheblichen Rückgang der aus ihrem nationalen Netz verfügbaren Leistung“, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. Dies werde sich unter anderem auf die Heiz- und Wasserversorgung auswirken. Der Kreml bleibt trotz vieler Gegenbeweise bei der Darstellung, dass russische Raketen nur Infrastrukturobjekte mit einem „direkten oder indirekten Bezug“ zum militärischen Potenzial der Ukraine angreifen. Nach Angaben der EU-Kommission bekommt die Ukraine weitere Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, Medizin und Stromgeneratoren aus der EU.

US-Generalstabschef Mark Milley würdigte in Washington die jüngsten militärischen Erfolge der Ukraine. Aber unlängst von russischer Besetzung befreite Gebiete wie Cherson und Charkiw seien klein im Vergleich zu der Herausforderung, die russischen Streitkräfte aus der gesamten Ukraine vertreiben zu wollen. „Das wird nicht in den nächsten paar Wochen passieren, außer, die russische Armee bricht komplett zusammen, was unwahrscheinlich ist.“

Landminen-Bericht: Russland setzt geächtete Waffen in der Ukraine ein

Nach Angaben der internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) setzte Russland in der Ukraine mindestens sieben verschiedene Arten der international geächtete Landminen ein. Es war das einzige Land neben Myanmar, das zwischen Mitte 2021 und Oktober 2022 auf solche Waffen zurückgegriffen hat, wie es im jährlichen Bericht Landminen-Monitor hieß. Die Minen wurden in von der Ukraine zurückeroberten Gebieten entdeckt und teils geräumt. Moskau habe Kiew vorgeworfen, selbst Landminen gelegt zu haben. Diese Angaben hätten aber nicht unabhängig verifiziert werden können.

Ukrainische Polizei findet in Cherson Folterkammern und Gräber

Nach dem Ende der russischen Besatzung in Cherson fand die ukrainische Polizei dort wie in anderen befreiten Gebieten Hinweise auf mutmaßliche Verbrechen. An elf Orten seien Menschen gefangengehalten worden, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj im ukrainischen Fernsehen. An vier dieser Orte gebe es Hinweise, dass Gefangene gefoltert worden seien. Ermittler sicherten dort Beweise und befragten Zeugen. Auch Leichen würden exhumiert.

Abkommen mit Russland über ukrainische Getreideexporte verlängert

Mit der Verlängerung des Getreide-Abkommens sind Ausfuhren aus ukrainischen Häfen über das Schwarze Meer für mindestens vier weitere Monate möglich. Darauf verständigten sich Vertreter der Ukraine, Russlands, der UN und der Türkei, wie die Vereinten Nationen mitteilten. Das russische Außenministerium wies darauf hin, dass das Abkommen „ohne eine Änderung der Fristen oder des Umfangs“ verlängert worden sei. Die Ukraine hatte beantragt, dass das Getreideabkommen auch auf den Hafen Mykolajiw ausgeweitet wird.

Die Bundesregierung begrüßte die Verlängerung. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) sagte, dies sei für weltweit Millionen Notleidende „ein Lichtblick in diesen dunklen Zeiten“.

(boot/dpa)
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