Demonstrationen in Russland Putins Polizei schlägt zu

Moska (RP). Knüppel, Festnahmen und Schnellverfahren: Mit Gewalt ging Russlands Regierung gegen Oppositionelle vor, die lautstark gegen Präsident Putin demonstrierten.

Proteste in Russland
14 Bilder

Proteste in Russland

14 Bilder

Polizisten in blauen Tarnanzügen stürmen das Cafe an der Moskauer Tverskaja-Straße. Brutal packen sie Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und seine Leibwächter, zerren sie in einen Mannschaftswagen. Es ist 12.05 Uhr. Der "Marsch der Nicht-Einverstandenen", zu dem Kasparow und andere russische Oppositionelle aufgerufen haben, hat gerade erst begonnen. Gegen Hauswände getrieben

"Schande, Schande!" und "Freiheit!" rufen ein paar Demonstranten, die sich an einer Straßenecke zusammengefunden haben. Sofort rennt eine Hundertschaft der berüchtigten OMON-Truppen herbei. Mit Schlagstöcken treiben sie das Grüppchen gegen die Hauswand. Zwei alte Frauen lassen sie raus. "Wir haben diese Leute in den 90ern an die Macht gebracht!", schimpft Marina Michailowna (64), "heute nehmen sie uns das Recht auf freie Wahlen. Das muss man doch sagen dürfen!" Die pensionierte Ingenieurin ist mit ihrer Schwester Nina hierher gekommen, um gegen die autoritäre Herrschaft von Wladimir Putin zu protestieren.

Der Puschkin-Platz ist vollständig abgesperrt. Überall stehen Metallgitter, davor Reihen von Einsatzpolizisten. "Weitergehen, weitergehen!", knurren sie jeden an, der auch nur eine Minute stehen bleibt. Plötzlich lassen die OMON-Polizisten von den Demonstranten ab. Etwa 1000 Bürger ziehen friedlich Richtung Turgenew-Platz - die Route, die die Organisatoren für ihre verbotene Demo vorgesehen haben. Vorne wehen drei Fahnen. Ab und zu reckt jemand ein kleines handgemaltes Schild in die Luft: "Ich glaube Putin nicht", steht darauf. Friedlich und harmlos wirkt das ganze. Der Eindruck täuscht. "Ich denke, die bereiten da vorne für uns eine Überraschung vor", sagt der unabhängige Abgeordnete Wladimir Ryschkow, einer der Organisatoren des Marsches.

Im nächsten Moment kesseln die OMON-Leute die Demonstranten ein. Von allen Seiten knüppeln die Uniformierten los. Wahllos greifen sie einzelne Bürger, prügeln sie zusammen. Einen blutenden jungen Mann schleifen sie fort. "Das ist ja fast schon wie bei Pinochet", sagt Ljubow Pimenowa erschüttert, "wenn das so weiter geht, wird es noch schlimmer als unter Stalin."

Nur knapp ist die kleine Frau mit den kurzen schwarzen Haaren und der schwarzen Strickmütze einem Knüppelschlag entgangen. "Natürlich habe ich Angst vor Polizeigewalt", sagt die 41-jährige Buchhalterin. "Aber es gefällt mir nicht, dass der Geheimdienst an der Macht ist. Deshalb bin ich hier." Ihr Schwiegersohn Pawel nickt. "Die brauchen ein gehorsames Volk", sagt der junge Mann, der bald Vater wird. "Ich will nicht, dass mein Kind unter solchen Bedingungen aufwächst."

Gegenüber der berüchtigten KGB-Zentrale "Lubljanka" liegt das Schiedsgericht. Stundenlang befragen die Richter hier den festgenommenen Garri Kasparow. Die Verhandlung ist öffentlich. Zumindest theoretisch. Die Polizisten lassen niemanden durch. Nicht einmal Kasparows Anwältin Jelena Lipzer kann zu ihrem Mandanten. Frierend steht sie auf dem engen Hof. Hier drängen sich andere Demonstranten, die ebenfalls auf ihre Verhandlung warten. Roman Dobrochod (23) wurde gleich auf dem Puschkin-Platz festgenommen.

"Anderthalb Stunden haben sie uns in fensterlosen Lastwagen herumgefahren, danach noch vier Stunden auf der Wache behalten und den Pass weggenommen", ärgert sich der Chef der pro-europäischen Jugendorganisation "My". Der smarte Doktorand der Wirtschaftswissenschaften - orange Seidenkrawatte, schwarzer Anzug - soll sich vor Gericht verantworten, weil er angeblich auf der Straße Schimpfwörter benutzt hat. "Putin sitzt in der Falle", glaubt Dobrochod, "wenn er die Schrauben weiter so anzieht, werden immer mehr Leute auf die Straße gehen." Es ist spät am Abend, als Garri Kasparow endlich auf freien Fuß kommt. Das Schiedsgericht hat ihn wegen "Teilnahme an einer nicht genehmigten Kundgebung" zu einem Bußgeld von 1000 Rubel (29 Euro) verurteilt. Doch das wichtigste: Seinen Nachtzug nach St. Petersburg, wo gestern eine weitere Demonstration stattfand, hat der Oppositionsführer verpasst.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort