Region in Aufregung Pulverfass Nordafrika

Düsseldorf (RP). Der gewaltsame Umsturz in Tunesien versetzt die Machthaber im Norden Afrikas in Aufregung. Denn die Revolte in Tunis könnte der Startschuss für einen radikalen Wandel sein. Tunesien ist nicht das einzige Land, das viele Jahre unter einer korrupten Diktatur zu leiden hatte. Ist der Sturz des Diktators der Weckruf für den Maghreb? Auch Europa ist in Sorge. Neue Flüchtlingsströme drohen.

Die Geschichte Tunesiens seit der Unabhängigkeit
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Foto: AP

Noch bleibt es in den Nachbarländern Tunesiens weitgehend ruhig. Doch der zumindest zurzeit erfolgreiche Aufruhr hat eine Signalwirkung auf ganz Nordafrika. Denn die Probleme der Staaten des Maghreb ähneln sich: Meist betagte Staatschefs herrschten als Diktatoren, die Korruption ist weit verbreitet, die Jugend erkennt für sich keine Zukunftsperspektiven, hohe Geburtenraten vergrößern ungebremst die Bevölkerung, die Lebensmittelpreise explodieren, und islamistische Scharfmacher lauern im Untergrund auf ihre Chance.

Ist Tunesien also nur der erste Domino-Stein in Nordafrika? Die "Washington Post" spricht von einem Weckruf für die gesamte arabische Region. Die Tunesier hätten gezeigt, wie verletzlich die Könige, Emire und Präsidenten auf Lebenszeit tatsächlich seien. Hunderte Millionen Menschen könnten sich deshalb mit dem Umsturz in Tunesien identifizieren, lebten sie doch in ähnlich armen Verhältnissen. Ein Blick auf die Länder des Maghreb und ihre Nachbarn.

Algerien

Auch im direkten Nachbarland Tunesiens kommt es zu Protesten. Das Land lebt nicht wie Tunesien vom Tourismus, sondern von reichen Gas- und Erdöl-Vorkommen. Von deren Verkauf profitiert aber nur eine kleine Elite. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter Jugendlichen. Noch immer leidet Algerien unter den Folgen des Bürgerkrieges. Immer wieder werden Terroranschläge gemeldet, die häufig ausländische Firmen zum Ziel haben.

Marokko

Wer als Tourist das Königreich Marokko besucht, wird von auffällig vielen Polizisten bewacht, was nicht für eine stabile Sicherheitslage spricht. Trotzdem ist Marokko, das Armenhaus des Maghreb, politisch stabiler als seine Nachbarn Tunesien und Algerien. Umkämpft ist das Gebiet Westsahara, das heute teils unter Kontrolle des Staates, teils unter Kontrolle der Freiheitsbewegung Polisario steht.

Libyen

Der libysche Staatschef Muammar al- Gaddafi hat als erster auf den Umsturz in Tunesien reagiert und ihn scharf verurteilt: Die Bürger hätten voreilig gehandelt. Gaddafis jahrzehntelange Macht fußt auf einem strengen Unterdrückungsapparat. Doch auch in Libyen werden die Menschen ungeduldig. Hastig eingeführte Sonderrabatte auf Getreideprodukte, Reis und Babynahrung sollen den Volkszorn eindämmen.

Mauretanien

Die frühere französische Kolonie wurde erst 1960 unabhängig. Aufgrund der dauerhaften Stagnation kam es immer wieder zu Putschen und Putschversuchen. Erst 2009 fanden wieder Wahlen statt. Terroristen, Rebellen und Verbrecher nutzen die schwer zu überwachenden Wüstengebiete der Region. Der Drogen- und Menschenschmuggel ist wie in anderen Maghreb-Staaten ein ungelöstes Problem.

Ägypten

In Ägypten sind ebenfalls bereits Demonstranten mit Hinweis auf Tunesien auf die Straße gegangen. In diesem mit Abstand größten Land der Region regiert Hosni Mubarak seit 1981 und will offenbar jetzt seinen Sohn als Nachfolger etablieren. Die Armut ist noch weitaus größer als in Tunesien oder Algerien: 40 Prozent der Ägypter verdienen weniger als 1,50 Euro pro Tag. Die größten Gefahren drohen vermutlich durch den Islamismus: Als besonders radikal gilt die Muslimbruderschaft. Seit Jahrzehnten ist in Ägypten bereits der Ausnahmezustand verhängt. Die massiven Sicherheitskräfte, auf die sich das Regime stützt, stehen offenbar treu zum Regime.

Jemen und Jordanien

Auch für weiter entfernte Staaten haben die Vorgänge in Tunesien Signalwirkung: In Jordanien gingen am Wochenende 5000 Menschen auf die Straße, protestierten gegen steigende Preise und forderten den Rücktritt des Ministerpräsidenten. In Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, haben Tausend Studenten vor der Botschaft Tunesiens zum Sturz der Regierung nach tunesischem Vorbild aufgerufen. Präsident Ali Abdallah Saleh regiert den Jemen bereits seit 32 Jahren.

Europa

Die Mittelmeer-Anrainerstaaten Frankreich, Spanien und Italien reagieren besonders besorgt auf die Vorgänge in Tunesien. Schon jetzt bewältigen sie dem Strom der Flüchtlinge aus Nordafrika nicht mehr. Breiten sich die Unruhen im Maghreb aus, werden vermutlich weitere Zehntausende Menschen versuchen, übers Meer nach Europa zu gelangen.

(RP)
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