Nach Machtübernahme Proteste gegen Taliban nehmen zu

Kabul · Nach Briten und Sowjets haben sich auch die USA an Afghanistan die Zähne ausgebissen. Doch den siegestrunkenen Taliban drohen gewaltige Schwierigkeiten.

 Menschen zeigen zum Unabhängigkeitstag die Nationalflagge Afghanistans. 

Menschen zeigen zum Unabhängigkeitstag die Nationalflagge Afghanistans. 

Foto: AFP/HOSHANG HASHIMI

Nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban regt sich in Afghanistan zunehmend Protest. Am Donnerstag fuhr ein Autokonvoi mit Fahnen in den Nationalfarben Schwarz, Grün und Rot durch Kabul. In der Provinz Nangarhar erlitt ein Demonstrant eine Schusswunde, wie auf einem Video zu sehen war. Im Norden des Landes sprachen Taliban-Gegner über möglichen bewaffneten Widerstand. Zugleich stand das Land am Unabhängigkeitstag vor wachsenden Wirtschaftsproblemen.

Die Taliban hatten nach der Flucht des vom Westen unterstützten Präsidenten Aschraf Ghani am Wochenende die Macht in Afghanistan übernommen. Danach gaben sie sich moderat, verkündeten eine Amnestie und riefen auch Frauen auf, wieder zur Arbeit zu gehen.

Doch in Dschalalabad rissen Demonstranten am Mittwoch die weiße Taliban-Flagge herunter und ersetzten sie durch die Nationalfahne. Mindestens eine wurde Person getötet. Ein Video aus der Provinz Nangahar zeigte, wie ein Demonstrant aus einer Schusswunde blutete und von Passanten weggetragen wurde. Auch in der Provinz Kunar gab es Proteste, wie Zeugen in Sozialen Medien berichteten. In Chost verhängten die Taliban nach ähnlichen Kundgebungen eine vollständige Ausgangssperre.

Die Proteste fanden am Jahrestag der Unabhängigkeit von Großbritannien statt, auf den sich auch die Taliban beriefen. „Wir haben durch unseren Dschihad-Widerstand eine andere arrogante Weltmacht, die Vereinigten Staaten, zum Scheitern gebracht und gezwungen, sich von unserem heiligen afghanischen Territorium zurückzuziehen“, erklärten sie, ließen Proteste und Chaos aber unerwähnt.

Am Flughafen Kabul versuchten Afghanen mit zunehmender Verzweiflung, einen der Evakuierungsflüge zu erreichen. Doch war es schwierig, an den Kontrollposten der Taliban vorbeizukommen. Taliban-Kämpfer feuerten Warnschüsse ab, um die Menschenmenge zurückzudrängen, die auf das Flughafengelände gelangen wollte

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, es gebe weiter Gespräche mit den Taliban, damit diese afghanischen Zivilisten, die zum Flughafen wollen, sicheres Geleit gewährten. „Wenn wir das nicht hinbekommen, werden wir Menschen buchstäblich zum Tode verurteilen“, sagte Marina Kielpinski LeGree, US-Chefin der Non-Profit-Organisation Ascend.

Die Taliban forderten islamische Geistliche auf, ihre Gemeinden in Predigten zum Bleiben aufzurufen und negativer Propaganda gegen die neuen Machthaber zu widersprechen.

Die Machtübernahme der Taliban erwies sich auch als Problem für Nahrungsmittelimporte, auf die das Land angewiesen ist. Zahlreiche Lastwagen warteten in Pakistan an der Grenze, weil die Händler die Straßen in Afghanistan für zu unsicher hielten.

Ein großer Teil der neun Milliarden Dollar (rund 7,7 Milliarden Euro) Devisenreserven ist offenbar in den USA eingefroren. Bankautomaten ging das Bargeld aus. Die Zentralbank warnte vor steigenden Preisen. Das Land habe kaum noch US-Dollar in bar.

Dazu kommt, dass Afghanistan wegen einer Dürre mehr als 40 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge verloren gingen, wie Mary Ellen McGroarty vom Welternährungsprogramm sagte. „Vor unseren Augen entwickelt sich eine humanitäre Krise unvorstellbaren Ausmaßes“, sagte sie und appellierte an die internationale Gemeinschaft, das afghanische Volk jetzt nicht im Stich zu lassen.

Zudem kursierte ein Video, das Oppositionsführer bei einer Versammlung im Pandschir-Tal im Norden des Landes zeigte, dem einzigen Gebiet, dass die Taliban während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 nicht unter Kontrolle bekommen hatten. Zu sehen waren Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi, Vizepräsident Amrullah Saleh, der sich zum rechtmäßigen Präsidenten des Landes erklärt hat, und Ahmad Massud, der Sohn des 2001 ermordeten Führers der einstigen Nordallianz, Ahmad Schah Massud. Dieser rief die USA in einem Zeitungsartikel in der „Washington Post“ zu Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Taliban auf. Diese würden Afghanistan wieder zum Stützpunkt für islamistischen Terror machen.

(june/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort