Erneut Proteste und Festnahmen in Belarus Lukaschenko zieht die „rote Linie“ enger

Minsk · Die Demonstrationen in Belarus reißen nicht ab. Der Staatschef lässt Polizei und Armee erneut rabiat gegen friedlich Protestierende vorgehen. Beobachter sehen allerdings erste Anzeichen, dass sich auch Teile der Opposition radikalisieren.

 Demonstranten mit den alten belarussischen Nationalflaggen am Sonntag in Minsk.

Demonstranten mit den alten belarussischen Nationalflaggen am Sonntag in Minsk.

Foto: AFP/-

Etwas war dann doch anders an diesem sechsten großen Protestwochenende in Belarus. Vor allem in der Hauptstadt Minsk waren die zentralen Plätze weiträumiger abgesperrt und die Stacheldrahtrollen höher geschichtet. Die schwer bewaffneten Polizisten der Sondereinheit Omon gingen auch schneller und brutaler gegen die Menschen vor, die sich zu einem „Marsch der Gerechtigkeit“ zusammenzuschließen versuchten. Auf Videos, die über den Onlinedienst Telegram Verbreitung fanden, war immer wieder zu sehen, wie Polizeitransporter heranrasten, maskierte Männer heraussprangen und selbst kleinere Gruppen auseinandertrieben.

Teils waren die überfallartig angreifenden Trupps nicht einmal uniformiert. Fast schien es, als hätte der seit 26 Jahren diktatorisch regierende Präsident Alexander Lukaschenko die „rote Linie“ für die Protestierenden noch einmal enger gezogen. Den Ausdruck hatte er am vergangenen Montag bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin benutzt, ohne konkret zu werden. Die Menschen dürften jederzeit „spazieren gehen“, hatte Lukaschenko erklärt, solange sie besagte rote Linie nicht überschritten.

Im Laufe des Nachmittags gelang es den Protestierenden dennoch, sich in Minsk, aber auch in anderen Städten zu versammeln. Die meisten Schätzungen gingen von mehreren Zehntausend allein in der Hauptstadt aus. Auf Schildern und in Sprechchören forderten sie, wie schon in den Wochen zuvor, einen Rücktritt Lukaschenkos, Neuwahlen und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Doch viele Parolen kreisten auch um die Themen Gewalt und Gerechtigkeit. „Wir sind friedlich“, hieß es, aber auch: „Blut lässt sich nicht abwaschen“ oder: „Lukaschenko in den Knast!“

Bereits zuvor hatte eine Aktion des oppositionellen Portals Nexta Aufsehen erregt. Über dessen Telegram-Kanal veröffentlichten Hacker eine Liste mit Namen und Geburtsdaten von rund 1000 Omon-Polizisten und KGB-Mitarbeitern. Die Gruppe mit Namen „Cyber-Partisanen“ hatte die Betroffenen nach eigenen Angaben zuvor gewarnt: Sollten sie auch weiterhin „verbrecherische Befehle ausführen“, würden ihre Daten öffentlich gemacht. Aus Sicht mancher Beobachter verdichten sich durch die Aktion Hinweise auf eine Radikalisierung von Teilen der Oppositionsbewegung.

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