Protestbewegung unter Druck Schlag gegen Hongkongs Demokratiebewegung

Hongkong · Über ein halbes Jahr lang erlebte die Stadt Demonstrationen. Jetzt nutzt China die Corona-Krise und geht gegen Kämpfer für politische Freiheit vor.

 Rechtsanwalt Martin Lee (M.) verlässt am Samstag nach Zahlung einer Kaution eine Polizeistation in Honkong.

Rechtsanwalt Martin Lee (M.) verlässt am Samstag nach Zahlung einer Kaution eine Polizeistation in Honkong.

Foto: AP/Kin Cheung

Als der bekannte Rechtsanwalt Martin Lee in einem Fernsehinterview nach den zentralen Werten Hongkongs gefragt wurde, entgegnete der 81-Jährige: „Wir brauchen Menschenrechte, einen Rechtsstaat, Gleichheit und Religionsfreiheit.“ In China hingegen, würden die Leute nur einem Wert folgen: „Geld. Es sind zwei unterschiedliche Kulturen, nicht nur zwei unterschiedliche Systeme“, sagte Lee, der in Hongkong auch als „Vater der Demokratie“ bezeichnet wird.

Am Samstag schließlich wurde er verhaftet und mit ihm 14 weitere Köpfe aus dem pro-demokratischen Lager, darunter ehemalige Abgeordnete, Rechtsanwälte und den Medien-Tycoon Jimmy Lai, der die Peking-kritische Tageszeitung „Apple Daily“ gegründet hat. Ihnen wird vorgeworfen, nicht genehmigte Proteste organisiert oder beworben zu haben. Es ist das bis dato schärfste Vorgehen gegen die Hongkonger Protestbewegung.

Heftigste Kritik vom politischen Establishment kam wenig überraschend aus den USA. „Hongkongs Führung und Peking machen Hongkongs Rechtssystem zu einer Farce für die Kommunistische Partei“, schrieb der republikanische US-Senator Marco Rubio auf Twitter.

Joshua Wong, das Gesicht der Hongkonger Protestbewegung, hielt ebenfalls nicht mit Kritik zurück: „Es ist verrückt, dass die Hongkonger Polizei den 81-jährigen Martin Lee verhaftet. Seit fast 40 Jahren setzt er sich für Demokratie und Menschenrechte in Hongkong ein.“ Zudem beschuldigte Wong die Hongkonger Polizei, sein Smartphone gehackt zu haben. Der 23-jährige glaubt, dass die Behörden seine Daten an die „4000 in Hongkong stationierten nationalen Sicherheitskräften Chinas “ weiterleiten.

Die Festnahmewelle erfolgt zu einem denkbar prekären Zeitpunkt, da die Finanzmetropole unter der Coronavirus-Pandemie leidet. Zwar gibt es bislang nur vier bestätigte Tote, doch öffentliche Zusammenkünfte wie Demonstrationen sind auf unbestimmte Zeit untersagt. Peking hatte zuletzt Druck auf die Hongkonger Verwaltungsregierung ausgeübt, nationale Sicherheitsgesetze zu verabschieden, die laut Kritikern den Freiheitsraum der Zivilgesellschaft weiter einschränken und Festlandchinas Einfluss erhöhen würden. „In meinem Umfeld sind die Leute wütend“, sagte der 34-jährige Lemon Fok, Sozialarbeiter, der sich zu dem moderaten Flügel der Protestbewegung zählt: „Bei meiner Elterngeneration herrscht vornehmlich Trauer und Hoffnungslosigkeit vor, dass dies nun das Ende der „Ein Land, zwei Systeme“-Doktrin ist. 1984 garantierte die chinesisch-britische Erklärung der ehemaligen Kronkolonie ein „hohes Maß an Autonomie“.

Am Freitag jedoch hat das Verbindungsbüro in Hongkong, Festlandchinas höchste Repräsentanz in der Sonderverwaltungszone, erstmals erklärt, es unterliege nicht den verfassungsrechtlichen Beschränkungen der halbautonomen Stadt. Man sei berechtigt, sich in Hongkonger Angelegenheiten zu beteiligen. In der Stellungnahme heißt es in unverblümter Sprache: Hongkongs Recht auf Selbstverwaltung sei „von der Zentralregierung genehmigt, und „ein hohes Ausmaß an Autonomie ist keine vollständige Autonomie“. Die Zentralregierung in Peking habe zudem „Aufsichtsbefugnisse“ über die „autorisierte“ Stadtregierung.

Für die Kader der Kommunistischen Partei war vor allem der Erdrutschsieg des pro-demokratischen Lagers bei den Bezirksratswahlen im November ein Schlag ins Gesicht. Bis dahin nämlich hatte die Regierungsriege rund um Präsident Xi Jinping die Protestler als radikale Vandalen abgetan, die keinen Rückhalt innerhalb der breiten Bevölkerung genössen. Seither rechneten Beobachter mit einer demonstrativen Machtansage Pekings, die jedoch zunächst ausblieb. Nun jedoch, so sind sich viele Beobachter sicher, beginnt die Niederschlagung der Protestbewegung.

In den staatlich kontrollierten Medien Festlandchinas wurde über die Festnahmen in Hongkong nur am Rande berichtet. Ein Nutzer auf Weibo, einem chinesischen Kurznachrichtendienst, fordert, die Anwälte Hongkongs „zurück nach Großbritannien“ zu schicken, schließlich kontrolliere die ehemalige Kolonialmacht noch immer das Rechtssystem in Hongkong. Ein anderer Nutzer kommentiert: „Als nächstes wird Tsai Ing-wen dran sein“. Tsai Ing-wen ist Taiwans im Januar mit einem deutlichen Sieg wiedergewählte Präsidentin, die einen kritischen Kurs zu Peking fährt.

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