Schüler verletzt: Nach Messerangriff in Wuppertal – Anklage gegen 17-Jährigen
EILMELDUNG
Schüler verletzt: Nach Messerangriff in Wuppertal – Anklage gegen 17-Jährigen

Präsidentschaftswahlen in Frankreich Sexismus mit System

Analyse | Paris · Vier Frauen wollen dieses Jahr französische Präsidentin werden. Ernsthafte Chancen hat nach den Umfragen keine von ihnen. Das Problem wurzelt tief in Geschichte und Kultur – und das Klima im Parlament ist toxisch.

 Wahlkampfplakate der Präsidentschaftskandidatin der konservativen französischen Partei Les Republicains (LR), Valerie Pecresse.

Wahlkampfplakate der Präsidentschaftskandidatin der konservativen französischen Partei Les Republicains (LR), Valerie Pecresse.

Foto: AFP/LIONEL BONAVENTURE

Als Ségolène Royal sich 2007 um das Präsidentenamt in Frankreich bewarb, kam der frauenfeindlichste Kommentar von ihrem innerparteilichen Rivalen Laurent Fabius. „Wer kümmert sich dann um die Kinder?“, fragte er die vierfache Mutter, deren Studium an mehreren Eliteschulen er damit ebenso zur Nebensache degradierte wie ihre Ministerposten. Noch heute berichtet die Sozialistin, die als erste Frau überhaupt in die Stichwahl um das Präsidentenamt einzog, bereitwillig über den Sexismus, dem sie ausgesetzt war. Royal fühlt sich als Vorreiterin der Kandidatinnen, die im April ins Präsidentenamt streben. Die Konservative Valérie Pécresse soll von ihr sogar den Tipp bekommen haben, möglichst oft Rot zu tragen, um aufzufallen.

Doch auch wenn der rote Blazer seither zu ihrem Markenzeichen wurde, droht Pécresse dasselbe Schicksal wie Royal, die gegen Nicolas Sarkozy verlor. Umfragen prognostizieren der 54-Jährigen ebenso wie der Rechtspopulistin Marine Le Pen, der Sozialistin Anne Hidalgo und der Linkskandidatin Christiane Taubira eine Niederlage gegen Amtsinhaber Emmanuel Macron. Pécresse verringerte ihre Chancen am Sonntag noch, als sie in einer gekünstelt wirkenden Rede Anleihen bei den Rechtsextremen nahm. „Es bräuchte schon ein Zusammenspiel vieler Umstände, damit eine Frau 2022 Präsidentin wird“, sagt Marlène Coulomb-Gully, Professorin an der Universität Toulouse.

Den Grund dafür sieht die Expertin in der Geschichte des Landes. Das salische Recht zur Erbfolge verbot Frauen die Thronbesteigung. Während England, Schweden oder Spanien von Königinnen regiert wurden, zogen in Frankreich Marie Antoinette oder Madame de Pompadour lediglich im Hintergrund ihre Strippen. Auch die Revolution änderte nichts an der untergeordneten Rolle der Frauen. „Die Idee, dass Frauen und politische Macht ein Widerspruch sind, hat sich in den Köpfen eingegraben“, bemerkt Coulomb-Gully.

Das Wahlrecht erhielten die Französinnen erst 1944, deutlich nach den Deutschen. Ministerämter übernahmen Frauen zum ersten Mal in den 70er-Jahren. „Ich hatte Glück, man brauchte eine Alibi-Frau. Das war ich“, erinnerte sich Simone Veil, die als Gesundheitsministerin 1974 das Recht auf Abtreibung durchsetzte und heftigen Angriffen ausgesetzt war.

Eine Erfahrung, die später auch Edith Cresson machte, die einzige Frau, die bisher in Frankreich Regierungschefin war. Die Sozialistin, die sich 1991 nur zehn Monate im Amt hielt, denkt heute noch mit Bitterkeit an diese Zeit. An eine Frau als Ministerin hätten sich die Männer mit der Zeit gewöhnt. „Aber eine Premierministerin, das war zu viel“, sagte sie im vergangenen Jahr in einem Radiointerview. Nach François Mitterrand, der Cresson ernannt hatte, traute sich kein Präsident mehr, eine Frau zur Regierungschefin zu machen, auch wenn das Amt in Frankreich weniger Macht bedeutet als beispielsweise in Deutschland oder Großbritannien.

71 Prozent der Französinnen und Franzosen halten inzwischen eine Frau an der Staatsspitze für „wünschenswert“, doch die Männer besetzen hartnäckig alle hochrangigen Ämter. Mit Ausnahme von Le Pens Rassemblement National sind alle Parteivorsitzenden männlich. Senat und Nationalversammlung hatten noch nie eine Frau als Präsidentin; Innen-, Außen- und Finanzministerium sind fest in Männerhand. Dabei hatte Macron die Gleichstellung zu einem der wichtigsten Anliegen seiner Präsidentschaft gemacht und seine Regierung zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt.

Doch der Gleichstellungsrat kritisiert weiterhin einen „systemischen Sexismus“ auf allen Ebenen. „Auch wenn zahlenmäßig Gleichheit herrscht, lässt eine wirkliche Machtteilung noch auf sich warten“, schreibt das Gremium. Ein deutlicher Hinweis, dass Frauen oft mit zweitrangigen Funktionen abgespeist werden. Dabei sind die Französinnen häufiger berufstätig als ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Ländern und bringen Kinder und Karriere leichter unter einen Hut. Je höher sie aber auf der Karriereleiter steigen, desto schwieriger wird es, sich gegen die männliche Konkurrenz durchzusetzen.

In der Politik ist die Parität seit dem ersten Gleichstellungsgesetz 2000 streng geregelt. Bei Wahlen müssen Frauen und Männer in gleicher Zahl auf den Kandidatenlisten vertreten sein, außer in Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern. Das wirkt: In der Nationalversammlung stieg der Frauenanteil von zehn Prozent 1997 auf 39 Prozent. Im Senat sitzen 33 Prozent Frauen und in den Stadträten 42 Prozent.

Trotzdem sind Politikerinnen weiter Zielscheibe sexistischen Verhaltens. Eine besondere Bühne bietet den Polit-Machos die Nationalversammlung, wo die heutige Kulturministerin Roselyne Bachelot bei ihrer ersten Rede 1988 mit dem Spruch „Schau her, das Vagina-Konzert“ begrüßt wurde. Vor einigen Jahren erntete Umweltministerin Cécile Duflot Gejohle, als sie in einem geblümten Sommerkleid ans Mikrofon trat. Die Rede einer Grünen-Abgeordneten wurde mit imitiertem Hühnergegacker begleitet, eine Rednerin der Linkspartei als „Fischhändlerin“ tituliert.

Als Pécresse im Dezember erste Präsidentschaftskandidatin der Konservativen wurde, feierten Frauenrechtlerinnen ihren Sieg gegen vier Männer. „Die Zeit der Frauen ist gekommen“, lautete der Slogan, mit dem Ségolène Royal die Macht erobern wollte. Er passt auch auf Pécresse und die Kandidatinnen 2022. Doch die Zeit für eine Präsidentin scheint immer noch nicht reif.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort