Linker Ex-Präsident Lula gewinnt erste Runde der Präsidentenwahl in Brasilien

Brasília · Der linke Ex-Präsident feiert ein Comeback. Nach einem hitzigen Wahlkampf schlägt er den rechten Amtsinhaber Bolsonaro knapp. Der hatte zuletzt immer wieder angedeutet, das Ergebnis möglicherweise nicht anzuerkennen. Das Land steht vor einer Zerreißprobe.

 Der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva nach Schließung der Wahllokale.

Der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva nach Schließung der Wahllokale.

Foto: dpa/Andre Penner

In einem überraschend engen Rennen um das höchste Staatsamt Brasiliens hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die erste Wahlrunde knapp für sich entschieden. Der Spitzenkandidat der Arbeiterpartei kam nach Auszählung von 99,9 Prozent der Stimmen auf 48,4 Prozent, der rechte Staatschef Jair Bolsonaro auf 43,2 Prozent, wie die Wahlbehörde mitteilte. Damit fällt die finale Entscheidung am 30. Oktober in einer Stichwahl, da keiner der stärksten Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte.

Mehr als 156 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, über ihren nächsten Staatschef abzustimmen. In vielen Städten bildeten sich am Sonntag lange Schlangen vor den Wahllokalen, die Behörden betonten aber, dass jeder und jede, die zum Zeitpunkt der Schließung um 17 Uhr (Ortszeit; 22 Uhr MESZ) noch anstünden, ihre Stimme abgeben könnten. In jüngsten Meinungsumfragen hatte der linke Ex-Präsident Lula noch klar vor dem rechten Amtsinhaber Bolsonaro gelegen. Es gab noch neun weitere Bewerber. „Diese knappe Differenz zwischen Lula und Bolsonaro war nicht erwartet worden“, sagte der Politikwissenschaftler Nara Pavão von der Universität von Pernambuco in Recife.

Die Stichwahl verglich Lula bei einer Pressekonferenz mit der „Verlängerung“ bei einem Fußballspiel. „Ich möchte jede Wahl in der ersten Runde gewinnen. Aber es ist nicht immer möglich“, sagte er. Bolsonaro sagte Reportern in der Hauptstadt Brasilia, er verstehe, dass es einen „Wunsch nach Veränderung“ in der Bevölkerung gebe, die hart von der Wirtschaftskrise und der hohen Inflation getroffen sei. „Aber bestimmte Veränderungen können eine Verschlechterung sein.“

In Brasilien wurden am Sonntag zudem Abgeordnete, Senatoren und Gouverneure gewählt. Bolsonaro erklärte, die guten Ergebnisse bei den Wahlen für den Kongress, in dem seine Partei die meisten Sitze gewann, könnten ihm Rückenwind für die Stichwahl geben.

Kritiker werfen Bolsonaro vor, die gesellschaftliche Spaltung im Land mit Hetze und Hass befeuert und die demokratischen Institutionen infrage gestellt zu haben. Höchst umstritten ist auch sein lockerer Umgang mit der Corona-Krise, in seiner Amtszeit kam es zudem zur massivsten Abholzung im Amazonas-Regenwald seit 15 Jahren. Bei vielen Armen in Brasilien ist die zaghafte wirtschaftliche Erholung bislang nicht angekommen, 33 Millionen Menschen müssen Hilfsorganisationen zufolge in der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas Hunger leiden. Wie in vielen anderen Ländern ächzen die Menschen unter der hohen Inflation.

Seine Fangemeinde hält dem Staatschef hingegen die Treue, der konservative Werte predigt und sich demonstrativ politisch unkorrekt gibt. Bolsonaro betrachtet seine Politik als Bollwerk gegen linke Ideologien, die aus seiner Sicht persönliche Freiheiten beschneiden und wirtschaftliches Unheil anrichten.

Lula verdingte sich einst als Metallarbeiter, war in der linken Gewerkschaftsbewegung aktiv und schaffte es aus bitterer Armut an die Staatsspitze. In seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 legte er auch dank eines Wirtschaftsbooms durch hohe Rohstoffpreise gewaltige Sozialprogramme auf, Millionen Menschen gelang der Aufstieg in die Mittelschicht. Eng verknüpft war Lulas Name allerdings auch mit weitreichenden Korruptionsskandalen, die Politiker und Unternehmer zu Fall brachten.

Seine eigene Verurteilung wegen Korruption und Geldwäsche im Jahr 2017 brachte Lula 19 Monate Haft ein. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 durfte er daher nicht antreten, schon damals hätten ihn die Umfragen weit vorne gesehen, am Ende gewann Bolsonaro. Das Oberste Gericht hob die Urteile gegen Lula auf, da der Richter in seinem Prozess voreingenommen gewesen sein und mit der Staatsanwaltschaft konspiriert haben soll.

Seine Stimme gab Lula am Sonntag in São Bernardo do Campo ab, einem bedeutenden Standort der Schwerindustrie im Staat São Paulo, wo er einst Gewerkschaftsführer war. Vor Reportern erinnerte Lula danach daran, dass er vor vier Jahren ins Gefängnis gekommen sei und nicht habe wählen gehen können. Nun wolle er versuchen, das Land in die Normalität zurückzuführen und dafür zu sorgen, dass sich das Land wieder um sein Volk kümmere.

Bolsonaro erklärte nach seiner Stimmabgabe in Rio de Janeiro, dass „saubere Wahlen respektiert werden“ müssten. Es werde auf den ersten Wahlgang ankommen. Als er gefragt wurde, ob er das Ergebnis anerkennen würde, reckte er nur einen Daumen hoch und ging davon.

Im Wahlkampf säte Bolsonaro wiederholt Zweifel am elektronischen Wahlsystem und erklärte, es sei für Betrug anfällig. Einmal gab er auch an, dafür Beweise zu haben, legte sie aber nie vor, obwohl das Wahlamt ihm dafür eine Frist gesetzt hatte. Erst kürzlich sagte der Präsident zudem, sollte er in der der ersten Runde nicht gewinnen, müsse irgendetwas „abnormal“ sein.

Beobachter befürchten, dass es in der aufgeheizten Stimmung im Vorfeld der Stichwahl zu verschärfter Gewalt in der viertgrößten Demokratie der Welt kommen könnte. Schon im Wahlkampf hatte es tödliche Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des rechten und linken Lagers gegeben.

(lha/dpa)
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