Istanbul und Ankara Polizei vertreibt tausende Regierungsgegner

Istanbul · Angespannte Ruhe in der Türkei: In Istanbul und Ankara hat sich die Lage in der Nacht zum Samstag nach einem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen Demonstranten zwar beruhigt. Polizisten blieben jedoch auf ihren Posten.

Istanbul und Ankara: Polizei vertreibt tausende Regierungsgegner
Foto: afp, BULENT KILIC

Die Demonstranten hatten den Rücktritt von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gefordert. In Istanbul setzte die Polizei Wasserwerfer, Gummigeschosse und Tränengas gegen tausende Regierungsgegner ein. Die Demonstranten hatten sich um den zentralen Taksim-Platz versammelt und riefen Parolen wie "Regierung tritt zurück", "Korruption ist überall" und "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand".

Die Zusammenstöße breiteten sich bis in die Nebenstraßen des Taksim-Platzes aus. Einige Protestierende beschossen die Sicherheitskräfte mit Feuerwerk. Mindestens zwei Demonstranten wurden einem Fotografen der Nachrichtenagentur AFP zufolge verletzt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gab es mehr als 30 Festnahmen.

Auch in der Hauptstadt Ankara kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Regierungsgegnern. Zuvor hatten sich etwa 700 Demonstranten im Ausgehviertel Kizilay versammelt. Einer der Veranstalter der Demonstration, Hasan Yildiz, sagte AFP, der Rücktritt von drei Kabinettsmitgliedern reiche nicht aus. Die gesamte Regierung und der Ministerpräsident müssten zurücktreten.

Das oberste Verwaltungsgericht kippte am Freitag nach einem Bericht der Zeitung "Hürriyet Daily News" einen Erlass der Regierung, mit dem Ermittler dazu gezwungen werden sollten, Vorgesetzte über ihre Untersuchungen zu informieren. Die Regierung war von den Korruptionsermittlungen überrascht worden.

Der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle begrüßte die Entscheidung des Gerichts. Die von der Regierung beschlossenen Vorschriften für die Polizeiarbeit hätten "die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben", hieß es in einer Erklärung Füles. Er erinnerte die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, "alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden".

Nach der Ablösung des im Umfeld des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ermittelnden Staatsanwaltes hat die CDU die Türkei an rechtsstaatliche Standards erinnert. "Wir pochen darauf, dass in der Türkei die Gewaltenteilung eingehalten wird", sagte CDU-Außenexperte Philipp Mißfelder unserer Redaktion. Offenbar tobe in der Türkei ein Machtkampf mit ungewissen Hintergründen.

Währung: Lira stürzt ab

Der Korruptionsskandal belastet das zuletzt ohnehin angeschlagene Vertrauen der Finanzmärkte in das aufstrebende Schwellenland. Die türkische Lira rutschte am Freitag im Handel mit dem US-Dollar auf ein Rekordtief. Neben der Währung gerieten auch türkische Staatsanleihen und der Aktienmarkt des Landes massiv unter Verkaufsdruck, nachdem sich ausländische Investoren teilweise aus dem Markt verabschiedet hatten.

Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit zehn Tagen und hat zum Rücktritt von drei Ministern geführt. Einer davon hatte auch Erdogan zum Amtsverzicht aufgefordert. Erdogan hatte am Mittwoch zehn seiner 26 Kabinettsposten neu besetzt. Bei den Ermittlungen geht es unter anderem darum, ob gegen Schmiergeld illegale Baugenehmigungen erteilt und Handelssanktionen gegen den Iran unterlaufen wurden. Erdogan hat die Ermittlungen als "dreckige Operation" gegen seine Regierung mit Hintermännern im In- und Ausland bezeichnet.

Abgeordnete kehren der Regierungspartei AKP unterdessen den Rücken. Drei Parlamentarier erklärten am Freitag ihren Austritt aus der AKP. Zuvor hatte bereits Ex-Innenminister Naim Sahin seinen Austritt erklärt. Kurz vor Bekanntwerden des Korruptionsskandals hatte der einstige Fußball-Star Hakan Sükür die Partei verlassen. Die absolute Mehrheit der AKP im Parlament gefährden die Austritte nicht.

Für Schlagzeilen sorgte am Freitag die Ablösung des Istanbuler Staatsanwalts Muammer Akkas von seinen Korruptionsermittlungen. Er war am Donnerstag von dem Fall abgezogen worden, bei dem regierungskritischen Medienberichten zufolge auch im Umfeld von Ministerpräsident Erdogan ermittelt wurde.

Akkas hatte öffentlich beklagt, auf ihn sei Druck ausgeübt worden. Die Polizei habe seine Anordnung ignoriert, Verdächtige festzunehmen. Die Regierung hat zahlreiche ranghohe Polizisten austauschen lassen, darunter den Polizeichef Istanbuls. Ihr wird vorgeworfen, die Korruptionsermittlungen behindern zu wollen.

Regierungskritische Proteste haben in der Türkei in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. Sie haben aber längst nicht die Ausmaße vom Sommer erreicht.

(AFP/dpa)
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