Machtkampf in der Ukraine Polizei schlägt sich auf die Seite der Opposition

Kiew · Die ukrainischen Sicherheitsorgane des Innenministeriums haben sich in Kiew offiziell auf die Seite der Opposition geschlagen. Das teilte die für die Polizei im Land zuständige Behörde auf ihrer Internetseite mit. Präsident Viktor Janukowitsch hat sich nach Charkow abgesetzt.

 Milizen unterwegs in Kiew. "Wir regieren die Stadt", sagen sie.

Milizen unterwegs in Kiew. "Wir regieren die Stadt", sagen sie.

Foto: dpa

Das ukrainische Parlament hat für die sofortige Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko gestimmt. "Unseren Informationen zufolge ist Julia Timoschenko in großer Gefahr", sagte der neue Parlamentschef Alexander Turtschinow am Samstag bei der live im Fernsehen übertragenen Sitzung.

Hochburg Janukowitsch in Charkow

Die frühere Regierungschefin wird derzeit wegen der Folgen eines Rückenleidens in einem Krankenhaus in Charkow behandelt. Die ostukrainische Millionenstadt gilt als Hochburg von Präsident Viktor Janukowitsch. Mitglieder von Timoschenkos Partei stürmten die Klinik und versprachen, ihre Anführerin zu schützen.

Das Innenministerium hatte zuvor angekündigt, die die Sicherheitskräfte stünden ab sofort auf der Seite der Opposition. Die Polizei diene ausschließlich dem ukrainischen Volk und unterstütze vollständig das Streben der Bürger nach schnellstmöglichen Änderungen, hieß es in der Mitteilung.

"Die Miliz ruft die Bürger auf, mit gemeinsamen Anstrengungen die Rechtsordnung im Staat zu wahren, keine Vernichtung der Infrastruktur der Rechtsschutzorgane zuzulassen, die jahrelang aufgebaut wurde und immer vom Volk benötigt wird für den Schutz vor rechtswidrigen Handlungen", teilte das Ministerium mit. Der zuständige Minister war zuvor aus dem Land geflohen.

Präsident Viktor Janukowitsch hält sich nach Angaben einer engen Mitarbeiterin in der Millionenstadt Charkow auf. "Der Präsident wird heute in Charkow im Fernsehen auftreten", sagte seine Beraterin Anna German am Samstag der Agentur Interfax. Dem russischen Radiosender Echo Moskwy sagte die Parlamentarierin, Janukowitsch wolle auch noch andere Regionen der Ex-Sowjetrepublik besuchen und dann nach Kiew zurückkehren. "Jede Spekulation zu diesem Thema stammt von Leuten, die das Land zerreißen wollen."

Neuer Parlamentspräsident schon gewählt

Unterdessen verliert die ukrainische Führung immer mehr die Kontrolle über das Land. Gegner Janukowitschs ergriffen nach eigenen Angaben die Macht in Kiew. Sogenannte Selbstverteidigungskräfte schützten das Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei im Zentrum der Hauptstadt vor Übergriffen. Die Sicherheitsorgane des Innenministeriums in Kiew liefen zur Opposition über.

Die Oberste Rada in Kiew wählte mit großer Mehrheit einen Vertrauten der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko zum neuen Chef des Parlaments. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko will den Präsidenten durch die Oberste Rada absetzen lassen. "Das Parlament ist heute das einzige legitime Organ, das Entscheidungen trifft", sagte Klitschko am Samstag in Kiew. Das Parlament wollte zudem über eine Übergangsregierung entscheiden. Alle Fernsehender übertrugen die Sitzung live.

Rund um die Millionenstadt Charkow nahe der Grenze zu Russland hat Janukowitsch traditionell seine Machtbasis. An einem Kongress von Delegierten aus dem prorussischen Osten und Süden der Ex-Sowjetrepublik - der sogenannten Ukrainischen Front - werde Janukowitsch aber nicht teilnehmen, sagte seine Beraterin Anna German. Zuvor hatte es Berichte gegeben, der Präsident habe das Land verlassen. In vielen westlichen Regionen hatten Regierungsgegner schon zuvor die Kontrolle über Verwaltungsgebäude übernommen.

77 Tote in Kiew

Tausende Menschen hatten in der Nacht auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew ausgeharrt. Sie kritisieren, ein vorläufiges Abkommen Janukowitschs mit der parlamentarischen Opposition sei nicht ausreichend. Darin hatten die Konfliktparteien unter EU-Vermittlung vorgezogene Präsidentenwahlen, eine Übergangsregierung und eine neue Verfassung vereinbart.

In den vergangenen Tagen waren bei Zusammenstößen von Regierungsgegnern mit der Polizei in Kiew mindestens 77 Menschen getötet worden. Den Opfern wird an diesem Wochenende mit zwei landesweiten Tagen der Trauer gedacht.

(dpa/ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort